REBECCA SIEBERT. Sport wird im Moment als eine Art Allheilmittel gehandelt. Du bist nicht zufrieden mit deinem Körper? Probier doch mal Sport zu machen. Du bist gestresst? Geh doch mal ne Runde joggen! Stimmungstief? Mach Sport. Tatsächlich berichten viele Menschen, sich nach dem Sport besser zu fühlen als vorher. Aber warum ist das so? Die Antwort ist, wie so oft, etwas komplexer als das “Na, wegen der Endorphine”, was uns auf diese Frage meistens entgegnet wird. Neben biologischen Mechanismen spielen auch psychologische Komponenten eine Rolle.
BIOLOGISCHE ERKLÄRUNGSANSÄTZE
Die Endorphine, eine Gruppe körpereigener Opioide, die schmerzstillend wirken, wurden lange Zeit als die alleinige Ursache des sogenannten “Runner’s High” angenommen [1, 2, 3]. Dieser rauschähnliche Zustand, den Läufer:innen nach einer Weile des Joggens empfinden, geht mit Glücksgefühlen und Schmerzfreiheit einher und vermittelt den Läufer:innen das Gefühl ewig weiterlaufen zu können [4]. Inzwischen wird neben den Endorphinen noch ein anderer körpereigener Stoff hinter diesem Zustand vermutet: Endocannabinoide [5, 6, 7]. Diese binden im Gehirn an die gleichen Rezeptoren wie THC und spielen unter anderem auch in der Schmerzhemmung und der Emotionsregulation eine Rolle [8].
Allerdings ist das “Runner’s High” nicht der einzige Grund dafür, dass wir uns nach körperlicher Aktivität oft gut fühlen. Denn auch einige Neurotransmitter werden während oder nach dem Sport in anderen Mengen ausgeschüttet als dann, wenn wir uns nicht körperlich betätigen [9]. Am bedeutendsten im Hinblick auf die Stimmungsaufbesserung sind Dopamin und Serotonin.
Ersteres wird unter anderem mit motivationalen Konzepten wie Belohnung, aber auch mit Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht [10]. Letzteres mit Stimmung und emotionalen Aspekten, wie beispielsweise Angst [11]. Das Dopamin-Level im Gehirn steigt nach dem Sport, weil durch die Bewegung mehr Calcium im Blut vorhanden ist, welches ins Gehirn transportiert und dort in der Synthese von Dopamin zum Einsatz kommt [12]. Das Serotonin-Level wird durch Sport gesteigert, weil die Aktivität der Muskeln eine bestimmte Sorte von Aminosäuren verbraucht, die normalerweise mit Tryptophan (der Vorstufe von Serotonin) um den Transport ins Gehirn konkurrieren. Werden diese Aminosäuren allerdings von den Muskeln benötigt, kann mehr Tryptophan ins Gehirn gelangen, wo es in Serotonin umgewandelt wird [13]. Momentan nehmen Forschende an, dass das Zusammenspiel von erhöhten Dopamin- und Serotonin-Leveln nach einem Workout sich in einem angenehm-aktivierten Zustand auswirkt [14, 15]. Wir fühlen uns dann gut gelaunt und energiegeladen [16].
PSYCHOLOGISCHE ERKLÄRUNGSANSÄTZE
Eine weitere Theorie, warum wir uns nach dem Sport besser fühlen, ist, dass wir während sportlicher Betätigung abschalten können: quasi eine Pause einlegen vom vielen Nachdenken. Dafür eignen sich laut bisherigem Forschungsstand besonders intensive Workouts wie das High-Intensity Interval Training (HIIT). Das liegt vermutlich daran, dass unser Gehirn nicht alle Regionen gleichzeitig gleich stark aktivieren kann; das wäre zu ressourcenaufwändig [17, 18]. Deshalb wird bei der Ressourcenverteilung priorisiert und die Regionen, die für die aktuelle Aufgabe wichtiger sind, bekommen mehr Ressourcen als andere Regionen. Beim Sport führt das dazu, dass mehr Ressourcen zu Regionen geleitet werden, die mit Bewegung, Koordination und Sinneswahrnehmungen zusammenhängen. Dabei bleiben weniger Ressourcen für den präfrontalen Kortex, die Region ganz vorne im Gehirn, die unter anderem für komplexere Aufgaben wie Denken und Planen zuständig ist. Und auch die Amygdala, ein für Furchtreaktionen wichtiger Bereich, wird während des Sports weniger mit Ressourcen versorgt [19]. Von diesem Mechanismus profitieren gerade Menschen, die sich viele Sorgen machen und denen es schwerfällt aus dem Grübeln herauszukommen.
Um einfachmal abschalten zu können, eignet sich allerdings nicht nur HIIT. Auch Sportarten, die viel Konzentration erfordern, bieten Ablenkung von anderen Gedanken. Dies ist zum Beispiel beim Klettern der Fall, da Überlegungen welche Bewegungen möglich sind oder ausgeführt werden sollten keinen Raum für andere Gedanken lassen [20]. Neben der Ablenkung bietet der Sport aber auch noch einen weiteren psychologischen Effekt, der zu verbesserter Stimmung beitragen kann. Denn nach dem Sport haben wir das Gefühl, etwas geschafft zu haben, ein Ziel erreicht zu haben. Und wenn wir regelmäßig Sport treiben, werden wir immer besser: Wir merken, dass wir länger durchhalten, die Bewegungsabläufe flüssiger hinbekommen und wir uns an herausforderndere Workouts heranwagen können. Zusammengenommen erhöht das unsere Selbstwirksamkeit: Wir gewinnen Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten und haben das Gefühl, Dinge erfolgreich erledigen zu können [21, 22, 23].
Neben den genannten Erklärungsansätzen verdanken wir aber auch einen Teil des Effekts von Sport auf die Stimmung dem Placebo-Effekt. In sozialen Medien, Zeitschriften, auf You-Tube oder im Gespräch mit anderen werden wir immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Sport gesund sei und dass man sich danach gut fühle. Dadurch bauen wir schon vor dem Sport die Erwartungshaltung auf, dass es uns danach sicherlich besser gehen wird. In einer Studie baten Forschende ihre Proband:innen vor dem Sport einen Stimmungsfragebogen auszufüllen und nach dem Sport mithilfe desselben Fragebogens rückwirkend noch einmal anzugeben, wie sie sich vor dem Sport gefühlt hatten und wie sie sich jetzt fühlten [24]. Beim Vergleich der Fragebögen, stellten sie fest, dass die Proband:innen ihre Stimmung vor dem Sport rückwirkend als schlechter einschätzten, als sie diese vor dem Sport angegeben hatten. Diese Anpassung führte dann wiederum dazu, dass der subjektive Kontrast zwischen der Stimmung vor und nach dem Sport als größer wahrgenommen wurde, als er eigentlich war. Diese Wahrnehmung passte gut zu den bereits bestehenden Annahmen zu den stimmungsaufhellenden Eigenschaften von Sport. Die Kontrollgruppe, die in der Zeit, in der die eine Gruppe Sport trieb, eine kognitive Aufgabe bearbeitete, zeigte keine rückwirkende Verzerrung ihrer Stimmungslage.
Auch führt nicht jede Art von Sport zu den hier beschriebenen Stimmungseffekten. Es gibt einige Punkte, die es zu beachten gilt. Zum einen wirken sich Unterschiede in der Intensität von Sport unterschiedlich stark auf die Stimmung aus. Die meisten Mechanismen, die hier angeführt werden, beziehen sich auf aerobische Sportarten mittlerer Intensität. Das sind Aktivitäten wie Joggen, Schwimmen oder Fahrradfahren bei einer Geschwindigkeit, durch die man sich nicht vollkommen verausgabt [25]. Als Daumenregel wird oft angegeben, dass wir uns bei mittlerer Intensität nebenher noch unterhalten können sollten (was natürlich nicht heißt, dass wir das während des Workouts zwingend tun müssen, wir sollten lediglich vom Atmen her noch dazu in der Lage sein). Auch wenn es dazu noch mehr Forschungsbedarf gibt, scheinen auch einige Sportarten mit niedriger Intensität, wie beispielsweise Yoga, positive Auswirkungen auf die Stimmung haben zu können [26]. Ein möglicher Grund dafür, könnte der stressreduzierende Effekt von Yoga sein, der unter anderem durch die Atemtechniken vermittelt zu werden scheint [27]. Das achtsame Atmen führt dazu, dass im Gehirn vermehrt der inhibitorische Neurotransmitter GABA ausgeschüttet wird. Dieser verlangsamt die neuronale Aktivität dadurch, dass er die reizgesteuerte Erregung von Synapsen erschwert [28,29, 30].Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist selbstverständlich, ob wir während des Sports Spaß haben [31]. Eine Sportart, die wir uns aussuchen, weil sie uns Spaß macht, ist deutlich motivierender als eine, die wir nur für die daraus resultierende verbesserte Stimmung aussuchen, deren Ausführung uns aber jedes Mal aufs Neue Überwindung kostet [32].
ÜBER DIE FORSCHUNG IN DIESEM BEREICH
Auch wenn einige der Mechanismen, die für den Zusammenhang von Sport und guter Stimmung verantwortlich sein könnten, bereits erfolgreich untersucht wurden, gibt es in diesem Forschungsfeld noch viele unbeantwortete Fragen. Viele der neurowissenschaftlichen Studien wurden beispielsweise zunächst an Nagetieren durchgeführt und die daraus resultierenden Tiermodelle werden erst nach und nach mit menschlichem Erleben und Verhalten verknüpft. Eine weitere Einschränkung ergibt sich daraus, dass die meisten Studien klinische Patient:innen untersuchten, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Menschen ohne psychische Erkrankungen zunächst nicht zuließ. Es bildet sich inzwischen allerdings heraus, dass Menschen, die an Depressionen oder an einer Angststörung leiden, zwar durch ihren veränderten Ausgangspunkt einen stärkeren Stimmungsunterschied vor und nach dem Sport erleben als gesunde Menschen, letztere aber trotzdem von den stimmungsaufhellenden Effekten profitieren [33].
Quellen
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