Wie Online-Meetings uns erschöpfen können

JÖRDIS GRASSL. Ob via Zoom, Microsoft Teams, Skype oder Big Blue Button – Videokonferenzen sind mindestens seit dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 aus dem Alltag der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken, sei das im Studium, auf der Arbeit oder aber auch im privaten Bereich. Virtuelle Meetings haben viele Vorteile im Vergleich zu ihren analogen Gegenstücken – die geographische Distanz zwischen den Teilnehmenden spielt keine Rolle mehr, die Arbeit im Homeoffice wird erleichtert, man muss weniger Wege zurücklegen und kann, wenn man denn möchte, alle Meetings in Jogginghosen abhalten. Sie fordern aber auch ihren Preis. Dies legt zumindest das Phänomen der Zoom-Fatigue, eine Erschöpfung durch Videokonferenzen, nahe. 

Im Frühling 2020 höre ich zum ersten Mal von Zoom. Ich bin gerade dabei, mich auf mein Abitur vorzubereiten, während um mich herum die Welt stillsteht. Meine Freund:innen habe ich zum letzten Mal am Montag, den 16. März gesehen, als wir alle gemeinsam unsere Spinde in der Schule ausgeräumt haben. Seitdem besteht unsere Kommunikation aus Memes und gemeinsamen Stadt-Land-Fluss-Abenden über Discord. Die Welt der videobasierten Online-Kommunikation ist mir also nicht völlig fremd, als ich zu meinem ersten Bewerbungsgespräch für eine FSJ-Stelle über Zoom eingeladen werde. Ich bin aufgeregt, nicht nur wegen der mir bis dahin unbekannten Bewerbungssituation, sondern auch wegen der Plattform, auf der das Gespräch stattfinden soll. Circa eine Stunde vorher laufe ich mit meinem Laptop durch die Wohnung, um den besten Videohintergrund zu finden. Ich überprüfe immer wieder meine Internetverbindung, teste Kamera und Sound und hoffe, dass wenigstens auf technischer Seite alles glatt geht. Das tut es. Das Gespräch läuft gut, ich bekomme den FSJ-Platz. Mit Zoom komme ich auch soweit zurecht, obwohl es zwischendurch ab und an hakt und seine Macken hat.

Seit dem ist viel passiert. Ich habe mein Abitur gemacht, einen Freiwilligendienst geleistet, ein Studium begonnen und einen Nebenjob angefangen. Die letzten Corona-Schutzmaßnahmen sind am 7. April 2023, also vor fast einem Jahr, ausgelaufen, seit ungefähr zwei Semestern habe ich wieder Präsenzlehre. Aber Zoom und die vielen anderen Videokonferenzplattformen sind Teil meines Alltags geblieben, sei das über virtuelle Arbeitsbesprechungen oder hybride Lehreinheiten an der Uni. 

Wie ich das finde, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Häufig erwische ich mich in Vorlesungen dabei, mir die Zoom-Veranstaltungen zurückzuwünschen. In einem vollbesetzten Vorlesungssaal fällt es auf, wenn man nebenbei den Campingkocher auspackt und sein Mittagessen aufwärmt, und stumm schalten kann man sich auch nicht, was vor allem in den vorderen Reihen manchmal zum Problem wird. Die Zeiten, in denen jede Lehrveranstaltung über Zoom stattfand, wünsche ich mir trotzdem nicht zurück. Eine Woche mit mehreren langen Videokonferenzen lässt einen mit einer anderen Art der Müdigkeit zurück, die mir in dieser Form seit dem Wiederanfang der Präsenzlehre nicht mehr begegnet ist. Und scheinbar bin ich nicht die Einzige mit diesem Problem. Mit dem Boom von Videokonferenzen zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 häuften sich auch die Berichte über Erschöpfung durch ebendiese, und der Begriff Zoom-Fatigue, oder auch etwas sperriger Videokonferenz-Fatigue, etablierte sich schnell. [1]

Als Zoom-Fatigue bezeichnet man zusammengefasst Erschöpfungssymptome nach einem längeren und wiederholten Gebrauch von Videokonferenz-Tools. [2] Konkrete Symptome, die von Betroffenen empfunden werden können, sind unter anderem eine Reduktion der Konzentrationsfähigkeit, eine erhöhte Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen sowie Schlaf- und Sehstörungen. [3]

Tipps gegen Zoom-Fatigue klingen häufig wie allgemeine Hinweise für Menschen, die generell viel an Bildschirmen arbeiten – aktive Pausen, Meetingzeiten begrenzen oder gleich auf Anrufe oder E-Mails umsteigen. [4] Wo liegt dann aber der spezielle Faktor, der die Ermüdung durch Videokonferenzen von anderen Bildschirmarbeiten abgrenzt?

Natürlich steht die Forschung hier noch ganz am Anfang. Es gibt aber durchaus theoretische Erklärungsansätze für die spezielle Entstehung von Zoom-Fatigue. Rump und Brandt (2020) konnten beispielsweise in einer Befragung drei Kategorien von Belastungstreibern gefunden werden, welche maßgeblich zu dem Empfinden von Zoom-Fatigue bei den Befragten beitrugen. Diese wurden als zwischenmenschliche Aspekte, organisatorische Rahmenbedingungen und Technik bezeichnet, wobei die Autor:innen fehlende menschliche Kommunikation als einen der wichtigsten Treiber identifizierten. So gaben circa 70% der Befragten an, dass sie durch das Fehlen nonverbaler Hinweise während der virtuellen Meetings eine Belastung empfanden, jeweils circa 45% empfanden explizit fehlende Gestik und Mimik als belastend. Weiterhin wurden aber auch fehlende Pausen zwischen oder während der Meetings von circa 45% als Belastung wahrgenommen, sowie technische Mängel in der Umsetzung der Meetings, zum Beispiel schlechte Tonqualität oder eine instabile Internetverbindung. [3] 

Diese Faktoren passen auch gut zu einem konzeptionellen Modell von Döring et al. (2022) zur Entstehung von Zoom-Fatigue, welches zum einen persönliche sowie organisatorische, technische und umweltbedingte Faktoren benennt. Gemeint sind damit beispielsweise individuelle soziodemographische oder kognitive Faktoren, aber auch soziale, entweder in der Interaktion in der Videokonferenz selbst oder im Umfeld einer Person. [1]

Natürlich sind technische und organisatorische Rahmenbedingungen wichtige Faktoren bei der Entstehung von Zoom-Fatigue, aber aus psychologischer Sicht finde ich hier vor allem den bereits erwähnten Aspekt der nonverbalen Kommunikation interessant. So könnte zum Beispiel ein Problem bei virtuellen Meetings, das letztlich zu Zoom-Fatigue bei den Teilnehmenden führt, eine nonverbale Überlastung sein, unter anderem ausgelöst durch das Design von Zoom. Denkbare Faktoren, die zu so einer nonverbalen Überlastung führen könnten, wären dabei die ständige Selbstbeobachtung auf dem Bildschirm, unnatürlicher exzessiver Blickkontakt über eine ungewohnt kurze Distanz oder eine allgemein höhere kognitive Beanspruchung durch die Kompensation fehlender nonverbaler Signale in der Kommunikation. [5]

In meiner Recherche bin ich auf ein sehr interessantes Framework von Riedl (2022) gestoßen. Es basiert auf der sogenannten Media Naturalness Theorie (Kock, 2009). Laut dieser sind Menschen durch evolutionäre Bedingungen prädisponiert für eine direkte „face-to-face“ (F2F) Kommunikation, also für das direkte Sprechen und Kommunizieren miteinander, von Angesicht zu Angesicht. Dadurch bringt elektronische Kommunikation, in diesem Fall virtuelle Meetings, bestimmte Probleme mit sich, da diese als weniger natürlich empfunden wird. [6] [7]

Das Framework legt nahe, dass die Probleme durch fehlende Informationen im Vergleich zu F2F-Kommunikation und durch einen Informations-Overload aufgrund von zusätzlichen Features der Zoom-Benutzeroberfläche zustande kommen. Dieses gleichzeitige Fehlen von Informationen und die Anreicherung der Kommunikation durch neue Features führt zu einem Rückgang der Natürlichkeit der Kommunikation, wie sie normalerweise F2F stattfinden würde. [2]

Riedl (2022) benennt jeweils drei Auslöser in den zwei Prozessen, welche laut seiner Theorie zu einer erhöhten kognitiven Anstrengung und damit auch zu Stress bei den Teilnehmenden eines virtuellen Meetings führen können. Auslöser, die zu einem Mangel an Informationen führen, sind demnach die Asynchronität der Kommunikation, der Mangel an wahrgenommener Körpersprache sowie ein Mangel an Augenkontakt. Die drei anderen Auslöser, welche ein Überangebot von Informationen zur Folge haben, sind Multitasking, eine erhöhte Selbstwahrnehmung während des virtuellen Meetings und die Interaktion mit mehreren Gesichtern während eines virtuellen Meetings. All diese Faktoren. Dies resultiert dann in den Symptomen, die wir als Zoom-Fatigue bezeichnen. [2]

Die Erklärungsansätze, die ich hier vorgestellt habe, sind bisher natürlich größtenteils nur das – Ansätze. Sie sind zudem unglaublich vielfältig und Lösungen betreffen teilweise sehr unterschiedliche Forschungsgebiete. 

Zum einen sind da natürlich Aspekte, die man auf das Design von Videokonferenzplattformen zurückführen kann, wie die nonverbale Überlastung oder fehlende Natürlichkeit der Kommunikation. Dagegen kann man teilweise etwas tun – es wird beispielsweise empfohlen, die Eigenansicht auszuschalten oder andere Ansichtsmodi im Meeting zu verwenden. [4] Aber wie behebt man als einfacher User zum Beispiel das Problem der Asynchronität? Selbst mit Lan-Anschluss bleiben kleine zeitliche Verzerrungen im Meeting, die sich aufsummieren und den natürlichen Fluss der Kommunikation stören können. Und so lange nicht alle Teilnehmenden mit High-End Geräten ausgestattet sind, bleibt es weiterhin schwierig, Gestik, Mimik und Körpersprache über den verpixelten Laptop-Bildschirm so klar und eindeutig wahrzunehmen, wie wenn man sich real gegenübersitzt.

Und zum anderen gibt es Aspekte, die gar nicht so viel mit den Plattformen an sich zu tun haben. Da wären die bereits erwähnten technischen Voraussetzungen der Teilnehmenden, aber auch die Dauer oder Häufigkeit einer Videokonferenz. Es ist anzunehmen, dass wir mit zunehmendem Verständnis für die Entstehung von Zoom-Fatigue auch bessere Strategien entwickeln, um mit umzugehen. Bis dahin helfen vielleicht die Tipps aus der Infobox.