TANJA VON RYSSÉL. Während der Schwangerschaft geschehen so einige Wunder im Körper der werdenden Mutter. Nicht nur, dass in ihrem Bauch ein neuer kleiner Mensch heranwächst – um diesen optimal zu versorgen, wird ein ganzes Maßnahmenpaket angestoßen: Das Blutvolumen steigt, die Atmung vertieft sich, Drüsenzellen in der Brust bereiten sich auf die Milchproduktion vor. Und noch etwas passiert: Im Gehirn finden umfangreiche Umbauprozesse statt, die sich sogar bis weit über die Geburt des Kindes hinaus nachweisen lassen.
Wie genau diese Veränderungsprozesse im Gehirn aussehen, wird seit einigen Jahren emsig erforscht. Bekannt ist bisher, dass es zu einem Rückgang an grauer Hirnsubstanz kommt – bis zu 3 % des kortikalen Gesamtvolumens büßen Frauen im Verlauf der Schwangerschaft ein [1]. Dahinter könnten verschiedene Vorgänge stecken, zum Beispiel könnte sich die Anzahl der Synapsen oder Nervenzellen verändern, aber auch Umstrukturierungen der Dendriten sowie Modifikationen in der Durchblutung des Gehirns kommen infrage [2]. Ziemlich sicher jedoch erstrecken sich die Umbauprozesse sowohl auf Neurone als auch ihre Nachbarn, die Gliazellen [1].
Ein Teil der grauen Substanz wird nach der Geburt des Kindes wieder aufgebaut. Das könnte etwa an Lernerfahrungen liegen, die eine Mutter im täglichen Umgang mit ihrem Baby macht [1], und durch die neue Nervenverbindungen entstehen. Einer anderen Theorie zufolge könnten aber auch vermehrt neue Nervenzellen gebildet werden [2].
Umbauarbeiten finden in verschiedenen Regionen des Gehirns statt. Betroffen sind zum einen verschiedene Areale in der Großhirnrinde; beispielsweise das limbische System, das für die Regulation von Emotionen zuständig ist. Zum anderen spielen sich Veränderungen in jenem subkortikalen Netzwerk ab, in das unter anderem dopaminerge Belohnungsareale wie der Nucleus Accumbens und die Area Tegmentalis Ventralis eingebunden sind [1]. Viele der Hirnregionen, die sich während der Schwangerschaft verändern, nutzen wir im sozialen Miteinander, damit wir erfolgreich mit anderen Menschen kommunizieren und interagieren können.
Besonders spannend ist die funktionelle und strukturelle Plastizität im sogenannten Ruhezustandsnetzwerk (eng. default mode network). Die an diesem Netzwerk beteiligten Hirnareale werden immer dann aktiv, wenn wir nichts Besonderes tun oder denken. Während der Schwangerschaft kommt es unter anderem zu verstärkter Kohärenz im Cuneus; einer Region, die visuelle Informationen verarbeitet und sie höheren kognitiven Funktionen wie Arbeitsgedächtnis oder Aufmerksamkeit zur Verfügung stellt [3]. Zudem liegt im Ruhestandsnetzwerk die neuronale Basis für Selbstwahrnehmung, soziale Interaktionen, Empathie sowie die Unterscheidung zwischen unserem Selbst und anderen Personen um uns herum. Änderungen in diesem Bereich des Gehirns könnten deshalb zu einem neuen Selbstverständnis als Mutter beitragen, bei dem beispielsweise ein stärkerer Fokus auf das Neugeborene als auf sich selbst gesetzt wird [3].
Der Gehirnumbau während der Schwangerschaft ist keine unauffällige Kleinigkeit. Um die festgestellten Veränderungsprozesse auf Widerspruchsfreiheit zu testen, untersuchte ein Forschungsteam an der Universität Barcelona eine Gruppe von Frauen vor und nach ihrer ersten Schwangerschaft [2]. Als Vergleichsgruppe luden sie weitere Frauen ein, die im Studienzeitraum nicht schwanger wurden. Aus den Hirnscans der beiden Untersuchungszeitpunkte wurde für jede Teilnehmerin eine sogenannte Differenzkarte generiert. Diese stellen die Volumenänderungen an grauer Substanz grafisch dar. Die Karten wiederum führten die Wissenschaftler:innen einem Algorithmus zu und gaben ihm die Aufgabe einzuordnen, ob die jeweilige Frau schwanger geworden war oder nicht. Nur auf Basis der Volumenänderungen konnte das Programm alle Teilnehmerinnen der korrekten Gruppe zuordnen!
Doch wofür macht sich der Körper die Mühe der ganzen Umbauten? Kurz gesagt handelt es sich dabei um eine spezifische Form der Neuroplastizität, also einer Spezialisierung des Nervensystems, um eine Mutter auf ihre neue Lebenssituation einzustellen. Vergleichen lässt sich dieser Prozess mit einem Software-Update. Gefragt sind von nun an Verhaltensweisen, die für das Wohlbefinden des Nachwuchses sorgen und seine optimale Versorgung sicherstellen. Im Tierreich zählen dazu zum Beispiel Nestbau oder das Putzen und Säugen der Jungtiere [1]. Der Gehirnumbau bietet so letztlich einen evolutionären Vorteil für das Überleben der Nachkommen und damit der eigenen Art.
Konkret beobachten Wissenschaftler:innen bei menschlichen Müttern nicht nur typisch elterliches Sozialverhalten, sondern auch veränderte Kognitionen und Bioreaktionen. Eltern werden empfänglicher für bestimmte Reize. Zum Beispiel verlangsamt sich die Herzrate von Müttern, wenn ihr Baby lacht [3] – denn wer fröhlich gluckst, dem scheint es wohl gut zu gehen. Das wiederum ist Grund genug, um Mamas Belohnungszentrum zu aktivieren. Gleichzeitig verbessert sich die Empathie gegenüber dem Kind, die Bedürfnisse werden besser erkannt und Mütter können rascher darauf reagieren. Negative Reaktionen im Umgang mit dem Säugling werden dagegen unterdrückt [3]. Außerdem werden soziale Reize, die eine mögliche Bedrohung signalisieren, schneller interpretiert [2]. Schließlich ist sich die psychologische Forschung darin einig, dass die neuronalen Anpassungsprozesse zu einer höheren Bindungsqualität zwischen Mutter und Kind führen [1,2,3]. So weit nur ein Auszug aus dem evolutionären Rezept für einen gesunden, bestens umsorgten Säugling!
Während einige Wissenschaftler:innen die genauen Umbauprozesse im „schwangeren Gehirn“ kartieren, beschäftigen sich andere mit der Frage, wie die Umstrukturierungen überhaupt ausgelöst und gesteuert werden. Aufschluss darüber geben zunächst Studien an Nagetieren. So analysierten Forscher:innen die schwangerschaftstypischen Hormonkonstellationen von Mäusedamen. Als sie diese bei jungfräulichen Artgenossen nachahmten, zeigten die kinderlosen Mäuse auf einmal elterliche Verhaltensweisen [4]. Solche Beobachtungen führten zu der – sehr belastbaren – Annahme, dass Hormone elterliches Verhalten auslösen, und zwar über den Umweg neuronaler Modifikationen. Besonders die Plazenta, Hauptverantwortliche für die Hormonschwankungen während der Schwangerschaft und Produzentin verschiedener Sexualhormone, scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen [1]. Letztlich beruhen all diese Annahmen aber nur auf Untersuchungen dazu, welche biologischen Prozesse parallel ablaufen und deshalb auch ursächlich miteinander in Verbindung stehen könnten. Kausalketten zu beweisen ist wegen ethischer Hürden sehr schwierig.
Dass Sexualhormone anatomische und funktionelle Änderungen im Gehirn auslösen, ist übrigens nichts grundsätzlich Neues. Forscher:innen kennen vergleichbare Prozesse bereits aus einer anderen Lebensphase: der Pubertät. In dieser Zeit organisiert sich der Denkapparat von Jugendlichen heimlich um: In Vorbereitung auf das Erwachsenenleben wird dabei graue Substanz abgebaut, weiße Substanz aufgebaut und verschiedene Hirnareale neu miteinander verbunden [5]. Sichtbar werden diese Vorgänge schließlich in kognitiven, emotionalen, physischen und Verhaltensänderungen.
Und wie sieht es bei den werdenden Vätern aus? Auch in ihren Gehirnen finden Umstrukturierungsprozesse statt, die Männer auf die Elternschaft vorbereiten. Beteiligt daran ist vermutlich das Hormon Prolaktin [6], ein alter Bekannter aus der Forschung rund um Fortpflanzung und Milchproduktion bei Frauen. So korreliert der Prolaktinspiegel bei den Partnern von Schwangeren mit einem Verlust an grauer Hirnsubstanz, aber auch – ähnlich wie bei den zukünftigen Müttern – mit dem Bindungsgefühl zum Ungeborenen. Außerdem wachsen Männer mit höheren Prolaktinwerten besser in ihre neue Rolle als Väter hinein [6]. Die konkreten biologischen Prozesse, die zu vergleichbaren Veränderungen im Sozialverhalten und bei den Kognitionen von werdenden Eltern führen, scheinen sich zwar zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden [2]. Dennoch: Die Raffinessen der menschlichen Neuroplastizität erstrecken sich auf beide Elternteile. Ein noch größeres Wunder ist wohl nur die Entwicklung eines komplett neuen Gehirns, mit dessen Hilfe das Neugeborene bald beginnt, die Welt zu entdecken.
Quellen:
[1] Servin-Barthet, C., Martínez-García, M., Pretus, C., Paternina-Pie, M., Soler, A., Khymenets, O., Pozo, O. J., Leuner, B., Vilarroya, O., & Carmona, S. (2023). The transition to motherhood: Linking hormones, brain and behaviour. Nature Reviews Neuroscience, 24(10), 605-619. https://doi.org/10.1038/s41583-023-00733-6
[2] Hoekzema, E., Barba-Müller, E., Pozzobon, C., Picado, M., Lucco, F., García-García, D., Soliva, J. C., Tobeña, A., Desco, M., Crone, E. A., Ballesteros, A., Carmona, S., & Vilarroya, O. (2017). Pregnancy leads to long-lasting changes in human brain structure. Nature Neuroscience, 20(2), 287-296. https://doi.org/10.1038/nn.4458
[3] Hoekzema, E., van Steenbergen, H., Straathof, M., Beekmans, A., Freund, I. M., Pouwels, P. J.W., & Crone, E. A. (2022). Mapping the effects of pregnancy on resting state brain activity, white matter microstructure, neural metabolite concentrations and grey matter architecture. Nature Communications, 13. https://doi.org/10.1038/s41467-022-33884-8
[4] Ammari, R., Monaca, F., Cao, M., Nassar, E., Wai, P., Del Grosso, N. A., Lee, M., Borak, N., Schneider-Luftman, D., & Kohl, J. (2023). Hormone-mediated neural remodeling orchestrates parenting onset during pregnancy. Science, 382, 76-81. https://doi.org/10.1126/science.adi0576
[5] Peper, J. S., Hulshoff Pol, H. E., Crone, E. A., & van Honk, J. (2011). Sex steroids and brain structure in pubertal boys and girls: A mini-review of neuroimaging studies. Neuroscience, 191, 28-37. https://doi.org/10.1016/j.neuroscience.2011.02.014
[6] Aviv, E. C., Cardenás, S. I., León, G., Waizman, Y. H., Gonzales, C., Flores, G., Martínez-García, M., & Saxbe, D. E. (2023). Prenatal prolactin predicts postnatal parenting attitudes and brain structure remodeling in first-time fathers. Psychoneuroendocrinology, 156. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2023.106332