JANIK DOSTERT. Tanzen, musizieren, singen – all das basiert auf der fundamentalen musikalischen Fähigkeit des Menschen, die Regelmäßigkeit in auditorischen Stimuli zu finden und sich passend dazu zu synchronisieren. Dieses sogenannte Taktgefühl wird als ein sich spontan entwickelnder, musik- und speziesspezifischer Skill angesehen. Nicht jeder Mensch beherrscht diese Fähigkeit jedoch perfekt: ca. 4% der Bevölkerung in Westeuropa und Nordamerika hat beat deafness, eine Form angeborener Amusie, nach welcher man sich nicht rhythmisch zu einem Takt bewegen kann.
Aber wie konnte sich eine sonst so weit verbreitete, allgemeine Fähigkeit entwickeln? Naheliegend ist hier natürlich der Vergleich mit anderen Spezies, idealerweise auf verschiedenen evolutionsbedingten Verwandtschaftsgraden, um herauszufinden, welche Faktoren nötig sind, Taktgefühl hervorzubringen. Die Forschung hat sich hier auf die Musikalität als Faktor geeinigt, um dieser Fragestellung nachzugehen. Musikalität umfasst die biologischen sowie kognitiven Mechanismen, die der Wahrnehmung und Produktion von Musik an sich zugrunde liegen, im Unterschied zu allgemeinen musikalischen Aktivitäten, welche hauptsächlich von der jeweiligen Kultur geprägt sind. Henkjan Honing, Professor am Institute for Logic, Language and Computation an der Universität Amsterdam sieht im Taktgefühl, oder der beat induction, wie er es nennt, neben dem metrischen und tonalen Enkodieren von Rhythmen und Tonhöhe einen fundamentalen Aspekt der Musikalität. Erhebliche Aufmerksamkeit erreichte dieses Forschungsfeld mit der Entdeckung von Snowball, einem Gelbhaubenkakadu, der seine Kopf- und Körperbewegungen an den Takt einiger bekannter Lieder angleichen konnte. Zwar machte er das nicht immer perfekt, das Interessante war jedoch seine Fähigkeit, sich an Tempoänderungen der Lieder anzupassen.
Dies warf die Frage auf, welche Eigenschaften ein Tier besitzen muss, um solch eine Aufgabe zu meistern. Das Wissen über unsere eigenen musikalischen Fähigkeiten wächst zwar immer mehr, wir haben jedoch keine eindeutige Klarheit über die kognitiven und biologischen Mechanismen, die die Musikalität bedingen. Papageien, zu welchen auch Snowball gehört, sind sogenannte stimmliche Lerner (vocal learners), besitzen also die Fähigkeit, akustische und syntaktische Laute zu erzeugen und durch Imitation neue hervorzubringen, welche nicht im genetischen Repertoire der jeweiligen Art vorgesehen sind. Nicht nur der Gesang von Vögeln zählt dazu, sondern auch die menschliche Sprache. Obwohl es eine viel größere Anzahl an vokalisierenden, also generell Töne produzierenden Tiergruppen gibt, sind bis jetzt nur acht als stimmliche Lerner identifiziert worden. Dazu gehören neben dem Menschen Fledermäuse, Delfine, Wale, Robben, Elefanten und drei ferner verwandte Vogelgruppen, nämlich Singvögel, Papageien und Kolibris.
Diese Form des Lernens ist abzugrenzen von der des auditorischen Lernens. So können Hunde zum Beispiel lernen, was „Sitz!“ bedeutet, obwohl das Wort nicht Bestandteil ihres angeborenen auditorischen Repertoires ist. Sie sind jedoch nicht in der Lage das Wort „Sitz!“ zu imitieren und zu produzieren, wie stimmliche Lerner es können. Dafür sind nämlich bestimmte evolutionär bedingte Veränderungen des Vorderhirns nötig, welches eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung zwischen auditorischem Input und motorischem Output beim Lernen spielt. Aniruddh Patel, Professor der Psychologie an der Tufts University in Medford, Massachusetts vertritt die Meinung, dass genau diese Vermittlung uns dabei unterstützt, mittels mentaler Simulation der Bewegung das Timing des nächsten Taktschlags vorherzusagen. Da solch eine Verbindung auch für ein akustisches Verstehen und rhythmisches Wiedergeben unterschiedlicher Taktarten nötig ist, geht man davon aus, dass ausschließlich stimmliche Lerner dazu in der Lage sein sollten. Gemäß des experimentellen Vorgehens würde der Befund, dass ein vocal learner nicht dazu fähig ist, rhythmische Instanzen zu erkennen oder zu imitieren eine Widerlegung der oben aufgeführten Hypothese und somit auch der Vocal-Learner-Theorie als Basis des Taktgefühls darstellen. Weiterhin würde dies die Tatsache nach sich ziehen, dass auch andere Tiere neben den acht genannten zu Taktgefühl in der Lage sind, wonach die Theorie angepasst oder erweitert werden müsste. Man weiß jetzt schon, dass die erwähnten Hirnverbindungen bei Affen nicht bestehen und in der Tat, selbst nach über einem Jahr intensiven Trainings schaffte es in einem Versuch keiner der Affen im Takt eines Metronoms zu bleiben. Jedes Mal waren sie einige Millisekunden zu spät, haben den Takt nicht antizipiert sondern immer nur darauf reagiert.
Ein Studiendesign, mit dem man die Fähigkeit des Taktgefühls untersuchen kann, ist das folgende: Honing und Kollegen (2015) trainierten und testeten vier Zebrafinken aus der Gattung der Singvögel. Diese Art Vogel wird schon seit einigen Jahrzehnten für Untersuchungen in Bezug auf ihre Sing- und Erkennungsfähigkeiten im vokalen Bereich erforscht. So können sie zum Beispiel die Gesänge zweier Männchen in verschiedenen Tempovarianten unterscheiden, prosodische Sprachmuster erkennen und in Liedern eine ABAB- von einer AABB-Struktur unterscheiden. Der Versuchsaufbau bestand aus einem „go/no go“-Tasks bei welchem der Vogel auf einen Sensor mit roter LED-Leuchte pickte, wodurch ein tonaler Stimulus sowie eine zweite LED aktiviert wurde. In der Hälfte der Fälle war dies ein „go“-Stimulus (das, was wir als „taktvoll“ oder „rhythmisch“ bezeichnen würden, also eine regelmäßige Abfolge von Tönen), wonach der rechte Sensor gepickt werden musste und von einem zehnsekündigen Zugang zum Futtertrog als Belohnung gefolgt war. Neben zahlreichen anderen Faktoren, die für die Stimuli beachtet werden mussten (unter anderem eine Angleichung an jene Frequenzen, für die Zebrafinken am sensitivsten sind, die durchschnittliche Länge und Anzahl an einzelnen Tönen ihres Gesangs und ihre Diskriminationsdauer bei der Stimulusdauer), entwickelten die Forschenden für beide Bedingungen unterschiedliche Tonfolgen. Nämlich solche, die regulär auftraten und im Tempo geändert wurden („go“-Bedingung) und solche, die ebenfalls im Tempo variiert wurden, jedoch irreguläre Abstände beinhalteten. Neben der Änderung im Tempo wurde weiterhin die Gesamtdauer des Stimulus variiert. Alle Vögel schafften es, die regelmäßigen von den unregelmäßigen Tonfolgen zu unterscheiden. Somit konnten sie zwischen den Trainingsstimuli ohne weitere Hilfsmittel außer den inter-onset-Intervallen (das Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Tönen) differenzieren, was zeigt, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf temporale Informationen richten können. Jedoch waren sie kaum in der Lage, die neuen isochronen Tempi voneinander zu unterscheiden. Daraus lässt sich ableiten, dass die Zebrafinken höchstwahrscheinlich keine kategoriale Wahrnehmung der isochronen vs unregelmäßigen Stimuli bildeten, sondern vielmehr eine größere Abweichung vom Trainingsstimulus, sei das jetzt schneller oder langsamer, als Indiz für die vermeintliche no go-Bedingung nahmen. Somit zeigten die Zebrafinken in dieser Studie kein direktes Taktgefühl, sondern eine exzellente, auf die Millisekunde genaue Zeitabschätzung einiger relevanter Intervalle, welche sie mit dem Trainingsstimulus vergleichen und dabei sensitiv für die marginalste Abweichung sind.
Ausgehend von diesen und vergleichbaren Befunden ist man mittlerweile der Auffassung, dass stimmliches Lernen zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für das Vorhandensein von Taktgefühl ist. So fand man beispielsweise bei Seelöwen, dass sie in der Lage sind, zu Diskoliedern der 70er zu tanzen, auch wenn sie schneller oder langsamer gespielt wurden und das Tier sie zum ersten Mal hörte. Seelöwen gehören zwar zu einer Gattung, bei welchen es vocal learners gibt, jedoch wurde es bisher nur für Robben und nicht für Seelöwen angenommen. Patel hat aber auch hierfür eine Erklärung: es besteht die Möglichkeit, dass sie neurale Verbindungen eines gemeinsamen Vorfahren beider Spezies behalten haben, auch wenn sie selbst keine vokalen Lerner sind. Um dies mit Sicherheit sagen zu können, müssen jedoch ausführlichere Hirnscans durchgeführt werden. Weiterhin gibt es auch Fälle, bei welchen Schimpansen mit den Fingern zu einem Takt schlagen können (dieses Phänomen war jedoch limitiert auf Frequenzen, die relativ nah bei ihrem spontanen Bewegungstempo liegen). Das nächste Tier, welches Patel untersuchen möchte, ist das Pferd. Einige Besitzer haben ihm bereits mitgeteilt, dass manche Tiere ihre Bewegungen zu Musik anpassen können, wenn sie galoppieren. Ein signifikanter Befund in dieser Richtung würde neue Wege im Forschungsfeld eröffnen, da Pferde weder selbst vokale Lerner noch mit solchen verwandt sind.
Jetzt könnte man natürlich kritisch die Frage aufwerfen, wieso dieses Thema überhaupt so ausführlich beforscht wird. Patel beantwortet dies dahingehend, dass damit zum einen biologisches Grundwissen erforscht wird. Zum anderen bieten sich aber auch medizinisch interessante Anwendungen. Zum Beispiel gibt es Evidenz dafür, dass Musik und Rhythmus Menschen mit unterschiedlichen Störungen von Parkinson bis Alzheimer hilft, wir aber nicht genau wissen, wieso. Die Entdeckung eines Tieres, welches Takt genauso verarbeitet wie der Mensch, eröffnet komplett neue Möglichkeiten für die Forschung. Natürlich ist auch der Unterhaltungswert nicht zu unterschätzen, denn wer hätte sich vor hundert Jahren denken können, dass wir einmal Papageien untersuchen werden, die zu den Backstreet Boys tanzen?
Quellen:
[1] Bencsik, A. (2002). Phantasievoll genießen – Lebensfreude im Alltag. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.
[2] Pudel, V., Westenhöfer, J. (2003). Einführung in die Ernährungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.
[3] Pudel, V (2007). Zur Psychologie des Essens und Trinkens: Essen ist mehr als Ernährung. Biologie in unserer Zeit, 37(1), 18-24.
[4] Franz, A. Ernährung und Psyche: stimmungsaufhellende Lebensmittel. Abgerufen von https://www.gesundheit-und-wohlbefinden.net/ernaehrung-und-psyche-stimmungsaufhellende-lebensmittel/ 24.05.2020, 12:59Uhr
[5] Ehrenstein, C. (2010). Was BSE an der Fleischproduktion verändert hat. Abgerufen am 08.06.2020 von https://www.welt.de/gesundheit/article11180741/Was-BSE-an-der-Fleischproduktion-veraendert-hat.html