Die Wirksamkeit einer alternativen Psychotherapiemethode 

ANNE HOMMEL. Der populäre Klettersport Bouldern genießt seit einigen Jahren eine immer größere Beliebtheit und bietet gleichzeitig neue Möglichkeiten für die Behandlung von Depressionen. Basierend auf den “KuS-Studien“ (Klettern und Stimmung) [1] des Universitätsklinikums Erlangen wird der Trendsport nun als innovative Therapiemethode eingesetzt. Dabei werden wirksame Elemente aus bewährten Therapieansätzen vereint. 

Bei der Boulderpsychotherapie handelt es sich um die Verbindung von Bewegung und körperlicher Aktivität durch das Bouldern mit psychotherapeutischen Interventionen aus der Verhaltenstherapie. [2] Die Boulderpsychotherapie erfolgt üblicherweise in Gruppen und wird dabei von geschulten Therapeut:innen begleitet. Die Therapeut:innen werden ausgebildet, damit sie sowohl über Kenntnisse und Erfahrungen zu Therapiekonzepten verfügen als auch eigene Kletterfähigkeiten nachweisen können. Auf diese Weise kann eine individuelle, bedürfnisorientierte Intervention zur gezielten Verbesserung der Symptome von Betroffenen ermöglicht werden. 

Bouldern löst eine hohe emotionale Aktivierung aus. Dahingehend können verschiedene, für die Therapie relevante, Themen bearbeitet werden und anhand ausgewählter Boulderübungen belastende Verhaltensweisen oder Denkmuster durchbrochen werden. Mithilfe des Therapeut:innenteams oder anderen Gruppenteilnehmenden können sowohl Problemlösungen besprochen und ausgewertet als auch neue Herangehensweisen entwickelt werden, um herausfordernde Situationen im Alltag aktiv besser zu bewältigen. 

Beim Bouldern kommen mehrere Wirkmechanismen zusammen, die eine Psychotherapie bei Depressionen deutlich unterstützen können. Häufig setzt es am Anfang viel Überwindung und Mut voraus, sich an die Wand zu trauen. Jedoch wird man auch frühzeitig mit Erfolgserlebnissen belohnt, wenn man einen Versuch wagt, sich auf die Situation einlässt und sich ausprobiert. Dahingehend wird der Umgang mit Grenzen schnell erlernt. Eigene Fähigkeiten werden oftmals unterschätzt. Durch das Bouldern können das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl deutlich gestärkt und damit gleichermaßen das Loslösen von Ängsten erleichtert werden. [3] Insbesondere Einsteiger:innen können deutliche Fortschritte erfahren, da Bouldertechniken rasch erlernt werden. Diese erleichtern es spürbar, auch schwere Routen zu schaffen. Darüber hinaus werden für das Bouldern relevante Muskelgruppen schnell aufgebaut, sodass die Teilnehmenden zeitnah den Leistungsfortschritt an sich beobachten können. Zudem erzeugen die aktive Unterstützung der Therapeut:innen und die Ermutigung von der Gruppe in Form von gegenseitigem Zuspruch eine motivierende Atmosphäre, in der Selbstwirksamkeit maßgeblich gefördert werden kann. Bouldern ist ein sozialer Sport, da man gemeinsam über mögliche Lösungen für Routen nachdenkt und sich gegenseitig anfeuert. Ratschläge und Hilfestellungen können zusätzlich zu einer sicheren Umgebung beitragen und gleichzeitig eine heilsame Erfahrung für die Teilnehmenden darstellen. Mit der Zeit entwickelt sich ein Feingefühl für Bewegungen und Körperpositionen, wodurch positive physische Erfahrungen gemacht werden und sich ein angenehmes, ausbalanciertes Körpergefühl etabliert. Menschen, die unter Depressionen leiden, können wieder in Einklang mit ihrem Körper kommen und ihre eigene Kraft spüren. 

Von großer Bedeutung für die Erklärung der Wirksamkeit von therapeutischem Bouldern ist, dass während des Boulderns individuelle Bewältigungs- und Lösungsstrategien aktiv ausprobiert werden können. Dadurch, dass die Konzentration durch den unmittelbar bevorstehenden Zug zum nächsten Griff vollständig beansprucht wird, werden die für Depressionen typischen Grübelschleifen unterbrochen. Man muss präsent und fokussiert bleiben, anstatt sich in Gedanken zu verlieren. Ein weiteres häufiges Symptom bei Depressionen ist, dass sich Betroffene nicht viel zutrauen, ohne es ausprobiert zu haben. Deshalb ist es von Bedeutung, sich erreichbare Ziele zu setzen. Persönliche Leistungserrungenschaften innerhalb der Bouldertherapie können dabei die Selbstwirksamkeit insgesamt stärken und dazu beitragen, sich auch im Alltag mit fordernden Situationen und neuen Aufgaben auseinanderzusetzen, ohne vorschnell aufzugeben. Das Bouldern dient somit der Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, die Boulderwand zu erleben und Erkenntnisse über sich zu gewinnen. Es wird gelernt, das Vertrauen in sich zu finden. Gleichzeitig werden individuelle Stärken entdeckt, welche die Lebensqualität steigern können. Die Teilnehmenden suchen sich Routen mit einem Schwierigkeitsgrad aus, der ihren Ansprüchen gerecht wird. So wirkt man bei Menschen mit depressiven Symptomen dem Interessensverlust an Aktivitäten entgegen. [3] Das Therapeut:innenteam ist darin geschult, unterdrückte Emotionen zu bearbeiten. Frustration beispielsweise kann schnell aufkommen, wenn Routen nicht beim ersten Versuch geschafft werden und die Teilnehmenden zu ungeduldig mit sich selbst sind oder sie ihren eigenen stark überhöhten Erwartungen nicht gerecht werden. In solchen Situationen ist es seitens der Therapeut:innen wichtig hervorzuheben, die Gefühle zu akzeptieren, anzunehmen und die Emotionen zu integrieren. Auch Angst oder Freude sind häufig auftretende Emotionen beim Bouldern. Regelmäßiges Klettern trägt dazu bei, den Umgang mit den eigenen Gefühlen zu trainieren. [4] Auch soziale Beziehungen können über eine therapeutische Boulderübung erlebbar gemacht werden. Beispielsweise werden die Themen Nähe und Distanz sowie Verantwortung und Anhängigkeit veranschaulicht, indem die Teilnehmenden eine Route gemeinsam bewältigen sollen und dabei durch ein Seil verbunden sind. [2]

In der “KuS-Studie“ konnten klinisch relevante positive Effekte auf die Selbstwirksamkeit bei Personen nachgewiesen werden, die unter Symptomen von Depressionen leiden. [5] Dabei wurde das therapeutische Bouldern mit einer Verhaltenstherapie und einem aktivierenden Bewegungsprogramm verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Bouldertherapie wirksamer ist, als mehrmals die Woche Sportübungen allein zu Hause durchzuführen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Effekte der kognitiven Verhaltensgruppentherapie nicht über die Wirksamkeit des therapeutischen Kletterns hinausgingen. [6] Damit erweist sich die Boulderpsychotherapie als eine langfristig wirksame Therapiemethode [7] und sollte dahingehend neben etablierten Therapiekonzepten als ergänzende Behandlungsmöglichkeit von Depressionen wahrgenommen werden, um die Therapieangebote zu erweitern. Das therapeutische Bouldern zeichnet sich durch eine niedrige Hemmschwelle aus, sodass der Zugang zu dieser Therapie leichter ist als zu anderen, eher stigmatisierenden Behandlungsansätzen, da das Bouldern als eine attraktive Sportart wahrgenommen wird. [1]