REGINA LINKE. Ob nun gezwungenermaßen oder auch freiwillig aus Schutz der Nächsten und sich selbst, wie so viele, musste ich die letzte Zeit zahllose Stunden in meinen eigenen vier Wänden verbringen. Am Anfang noch voller Begeisterung, mit zunehmender Zeit jedoch eher mit getrübter Stimmung, war ich ständig auf der Suche nach neuen Ideen zum Zeitvertreib. Was bot sich da besser an, als das sowieso Nötige mit dem Vergnüglichen zu verbinden? Essen musste ich schließlich, also warum nicht daraus einen Zeitvertreib machen? So begann ich meine Leidenschaft für das Kochen und Backen auszubauen und stieß auf die verschiedensten Rezepte und Ideen. Doch bevor ich meine Lieblings-Entdeckung hier teilen möchte, sollte erst die Frage geklärt werden, wie unser Essverhalten überhaupt entsteht und wodurch wir es beeinflussen können.
ESSEN IST MEHR ALS BLOSSE NAHRUNGSAUFNAHME
Essen ist in vielerlei Hinsicht ein spannendes Thema. Unzählige Forscher:innen, Influencer:innen, Zeitschriften, Bücher, Blogs, Kalender… beschäftigen sich damit. Natürlich sollte dabei die psychologische Perspektive auf Essen nicht außen vor gelassen werden. Von dieser Sichtweise aus hat Essen eine weitaus größere Bedeutung als die der bloßen Nahrungsaufnahme. Essen besitzt die Macht, Menschen zufriedener, gesünder und sogar stressresistenter zu machen. Klingt wie ein kleines Wunder, aber im Grunde heißt der Schlüssel zum Glück ganz einfach: Genießen (Bencsik, 2002). Leichter gesagt als getan. Unsere schnelllebige Welt durchkreuzt die Idee von Genuss. Essen zwischen Tür und Angel, ein belegtes Brot auf die Hand oder schnelles Fast Food – für viele ist das der Alltag. Der Genuss steht dabei an zweiter Stelle, bewusstes Genießen wird zur seltenen Mangelware. Aber selbst, wer sich dieser effizienten Schnelllebigkeit entziehen kann, kämpft mit einem weiteren Problem. Erlernte Essverhaltensweisen wohnen einem jeden inne und können nur schwer abgelegt werden. Aber was bedeutet das für unsere Nahrungsaufnahme?
Bereits die frühe Kindheit beeinflusst das Essverhalten im großen Stil. Wie so oft spielt dabei die Familie eine entscheidende Rolle. Essen, Nahrungsmittelpräferenzen und die damit verbundenen Emotionen lernen Kinder durch Beobachtung ihrer Umwelt. Dieses Imitationslernen führt auch zu dem Phänomen, dass in einer Gesellschaft sich meist ähnliche Geschmacksvorlieben etablieren, die auch in neuen Umgebungen oder anderen Gesellschaften noch lange erhalten bleiben (Pudel & Westenhöfer, 2003). Daran zeigt sich bereits, dass Essen mehr als bloße Nahrungsaufnahme ist. Aber Essen wird nicht nur durch unsere Erfahrungen beeinflusst. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf unser Essverhalten sind Emotionen.
ESSEN UND EMOTIONEN
Wieso ernähren wir uns nicht einfach dauerhaft gesund? Ganz einfach, weil Essen ein emotionales Thema ist und rationale Informationen bei einem emotionalen Thema nicht viel ausrichten können. Wenn das Essverhalten geändert werden soll, dann müssen auch die Essbedürfnisse anders betrachtet werden. Doch Essbedürfnisse haben in einer Überflussgesellschaft eine neue Bedeutung. Satt werden ist kein Problem mehr, denn es steht ständig eine Unmenge an Nahrungsmitteln zur Verfügung. Viel mehr rücken Bedürfnisse wie Geselligkeit, guter Geschmack, schönes Aussehen oder Bekömmlichkeit in den Mittelpunkt. Diese Bedürfnisse sind eng mit Emotionen verknüpft, weswegen kognitive Informationen eher einen geringen Anteil zur Essverhaltensänderung beitragen (Pudel, 2007).
Mit diesem Verständnis, dass Essen und Emotionen stark verknüpft sind, lässt sich auch verstehen, dass Lebensmittelskandale zunächst einen großen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, aber mit der Zeit wieder in Vergessenheit geraten. Skandalmeldungen appellieren an die menschlichen Emotionen und lösen eine emotionale Reaktion aus. Die Folge ist zumeist, dass das skandalöse Produkt gemieden wird. Doch Emotionen klingen auch schnell wieder ab und so verlieren die Skandalmeldungen ihre Wirkung und nach wenigen Wochen oder Monaten kehren viele zu ihrem gewöhnlichen Essverhalten zurück (Pudel, 2007). Erinnern wir uns an den BSE Skandal von 2000. Zunächst brach eine weitläufige Panik aus vor der tödlichen Rinderseuche. Die Bevölkerung verzichtete auf Rindfleisch, sogar beliebte Süßigkeiten wie Gummibärchen wurden teilweise gemieden. Die Emotionen kochten über, was Biobauern in die Karten spielte und die Preise für andere Fleischsorten als Rindfleisch in die Höhe trieb. Doch lange hielt die Panik nicht an. Genauso schnell wie sie aufkam, verschwand sie auch wieder und schon bald kehrte die Gesellschaft zu ihrer gewohnten Ernährung – mit Rindfleisch – zurück. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass Menschen nur schwer gegen ihre Emotionen ankämpfen können und sich schnell von ihnen leiten lassen. Langfristige Essverhaltensänderungen sind also schwierig zu erreichen. Nicht nur das Imitationslernen in unserer Kindheit erschwert uns eine Änderung, sondern auch unsere Emotionen und Bedürfnisse.
GIBT ES TROTZDEM NOCH HOFFNUNG, DAS ESSVERHALTEN ZU VERÄNDERN?
Halten wir zunächst fest, dass jeder mit etwas Mühe sein Essverhalten in einem gewissen Maße ändern kann. Schon allein das Wissen um die Verknüpfung zu Emotionen lassen neue Schlüsse zu, wie zum Beispiel, dass Crash-Diäten keinen Erfolg haben können. Langfristige Änderungen können nur durch kontinuierliches Arbeiten an sich selbst und seinen Einstellungen sowie durch die Verknüpfung von Essen mit positiven Emotionen gelingen. Also ist es ratsamer, neue oder unbeliebte Speisen in einer entspannten Umgebung und positiver Stimmung zu verzehren. So wird das Essen eher mit etwas Positivem als mit Zwang oder Unbehagen verbunden. Gelernte Verhaltensweisen können „umgelernt“ werden. Somit besteht zumindest für jeden bis zu einem gewissen Grad die Chance, alte Verhaltensweisen durch neue zu ersetzen. Denn der Mensch lebt nicht im luftleeren Raum, ständig gibt es neue Versuchungen. Evolutionsbiologische Programme stehen im Kontrast zu vollen Einkaufläden und was früher dem Menschen das Überleben gerettet hat, gestaltet sich nun als Risikofaktor. Wir erleben keine Notzeit mehr, haben aber ständig die Chance, uns darauf vorzubereiten und Fettspeicher anzulegen. Wenn früher die tägliche Aufgabe hieß, Nahrung zu suchen, dann heißt sie heute, Nahrung auszusuchen und dabei auf wichtige Nahrungsstoffe zu setzen, anstatt auf einen schnellen Reservespeicheraufbau. (Pudel, 2007)
Wer jetzt neugierig geworden ist, welche Nahrungsmittel sich als eine wertvolle Nahrungsquelle erweisen, kann im Infokasten „Die Versprechen verschiedener Lebensmittel“ nachlesen.
DIE VERSPRECHEN VERSCHIEDENER LEBENSMITTEL
Lebensmittel als Trostspender
Kohlenhydrate sind in den leckersten Lebensmitteln versteckt. Ihnen wird nachgesagt als „Nervennahrung“ die Stimmung zu heben. Das stimmt tatsächlich, denn der enthaltene Zucker in Schokolade, Eis oder Gummibärchen stimuliert die Produktion des Glückhormons Serotonin. Aber aufgepasst: Stress, Langeweile oder Traurigkeit sollten nicht nur durch Süßigkeiten bewältigt werden!
Warum schwören wir auf manche Lebensmittel?
Bananen: durch Nährstoffe wie Kalium und Tryptophan stimmungsaufhellend; Reizschwelle wird gesenkt
Spargel: Vitamin-B-Komplexe, Vitamine A, C, K, Folsäure, Kalium, Mangan führen zu erhöhter Körperenergie, richtiges Superfood!
Avocados: gesunde Fette, Tryptophan, Vitamin B6 und Folsäure, Umwandlung zu stimmungsaufhellendem Serotonin
Süßkartoffel: Eisen und Vitamin B6, besiegt Heißhunger und hält Blutzuckerspiegel konstant
Rosmarin und Salbei: ätherische Öle, fördern Durchblutung, Entspannung
Leinsamen: Omega – 3- Fettsäuren, Lignanen, Hormon ausgleichend
ZEITVERTREIB: ESSEN
Essen und die Nahrungsmittelaufnahme ist also ein komplexes Thema mit vielen verschiedenen Einflussfaktoren. Zusammenfassend lässt sich der Einfluss von Emotionen auf unser Essverhalten betonen. Diese hindern uns häufig daran, unser Essverhalten zu ändern. Wer sich dessen aber bewusst ist, kann gezielt positive Emotionen mit Essen verknüpfen. Ein vielversprechender Schlüssel zur Essverhaltensänderung? Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert! Manch einem fällt es vielleicht schwer, Ideale wie gesunde und umweltbewusste Ernährung im Alltag umzusetzen. Ich hätte einen Vorschlag: Lebensmittel wie „Eis“ oder „Schokoladenmouse“ rufen sicherlich positive Assoziationen hervor. Warum verknüpfen wir diese nicht einfach mit einer gesunden und veganen Variante?
Im Grunde ist die Idee ganz einfach: Wir wollen uns gesund und umweltbewusst ernähren, aber wir wollen (und sollten!) auch nicht auf unseren Genuss verzichten. Wenn Essen zu etwas Negativem wird, auf das wir keine Lust haben, weil es in unmittelbaren Zusammenhang mit Verzicht steht, verbinden wir es mit negativen Gefühlen. Dem müssen wir unbedingt vorbeugen. Meine Empfehlung dazu ist, nicht auf die Lieblingsspeisen verzichten, sondern nach ähnlichen Alternativen suchen. Ein absoluter Allrounder für gesunde Süßspeisen ist dabei zum Beispiel Aquafaba. Aquafaba ist vielfältig einsetzbar und so leicht herzustellen, dass ich es mir nun gar nicht mehr aus meiner Küche wegdenken will. Wer es auch einmal zu Hause ausprobieren möchte, kann sicherlich sofort loslegen, denn es bedarf nur genau einer Zutat. Aquafaba ist veganer Eischnee, der aus dem Einlegewasser von Kichererbsen oder anderen eiweißhaltigen Hülsenfrüchten besteht. Dieses Einlegewasser, also das Wasser aus der Dose, was bei mir üblicher Weise immer im Abfluss gelandet ist, oder das Wasser von euren selbst eingeweichten Kichererbsen, wird mit einem Mixer oder einer Küchenmaschine auf höchster Stufe aufgeschlagen. Es ergibt sich eine fluffige Masse, die mit Eischnee vergleichbar ist. Um diese Masse zu stabilisieren kann noch Sahnesteif hinzugegeben und alles so lange aufgeschlagen werden, bis die Masse an dem Schneebesen steht. Nun sind der Fantasie keine Grenzen mehr gesetzt. Natürlich muss zunächst der Kichererbsengeschmack überwunden werden, aber je nachdem, was im Anschluss dazugegeben wird, stellt das absolut kein Problem mehr dar. Mit dem so erzeugten Aquafaba lassen sich perfekt Nachspeisen und Eis herstellen. Wer es schokoladig mag, kann das beste vegane Mousse au chocolat erzeugen, indem vegane geschmolzene Schokolade in das Aquafaba untergehoben wird. Dabei darf die Schokolade nicht zu warm sein, damit der vegane Eischnee nicht zusammenfällt. Eine erfrischende Note bekommt das Ganze durch Hinzufügen von frischem Zitronensaft. Im Anschluss alles im Kühlschrank mehrere Stunden fest werden und durchziehen lassen.
Für alle Eisliebhaber ist Aquafaba die perfekte Grundzutat für ein leckeres veganes Joghurteis. In den veganen Eischnee pürierte Früchte und etwas (veganen) Joghurt unterheben, nach Belieben mit Zucker, Zimt oder – auch sehr empfehlenswert – Vanille mischen und schließlich im Eisfach gefrieren lassen. Damit das Eis später leichter abzustechen geht, empfiehlt es sich, das Eis in den ersten Stunden des Gefriervorgangs immer wieder umzurühren.
Es ist nicht immer schwierig, eine Veränderung zu beginnen. Das Härteste ist sicherlich, einfach mal anzufangen. Vielleicht überzeugt Aquafaba ja als vegane Variante für Eischnee oder auch Sahne. Und selbst wenn nicht, bei der nächsten Krise suchen wir sicherlich wieder nach neuen Ideen für den Zeitvertreib, vielleicht erinnert sich dann ja der eine oder andere an Aquafaba. Zu guter Letzt aber noch der wichtigste Tipp: Nicht vergessen, während der Herstellung und dem Verzehr immer schön lachen und fröhlich sein ;).