ANNA KAUFER. Zum deutschen Weihnachtsabend gehört ein gewaltiger Stapel bunter Geschenke unterm Baum genauso zum Fest wie das obligatorische „Last Christmas“. Doch allzu oft ist der Weg der Geschenke bis unter besagten Baum begleitet von vorweihnachtlichem Stress und keine limitierte Lebkuchenfeuchtigkeitscreme der Welt kann die Sorgenfältchenbildung im Angesicht drohender enttäuschter Kinder- (und Gatt:innen-)Gesichter aufhalten. Also muss man sich alle Jahre wieder die Frage stellen, ob die bunten Päckchen tatsächlich den Zauber der Weihnacht ausmachen oder ob man lieber auf Geschenke verzichten und im Sinne des Grinches dem Weihnachtsgeist mit ein paar Nüssen und Orangen frönen sollte?.

Es könnte radikal erscheinen auf jegliche Geschenke zu verzichten und alle Socken unbefüllt zu lassen, doch es gibt einige Punkte, die sehr wohl dafür sprechen. Seien wir doch mal ehrlich: Jedes Jahr sieht man zu Weihnachten rot. Und das nicht wegen Rudolphs Nase oder der verstörenden Anzahl Menschen männlichen Geschlechts in Samtkitteln und Rauschebart, sondern weil man für jeden noch so entfernten Zweig der Familie ein Geschenk ergattern muss. Das geht nicht nur auf die Nerven, sondern auch auf den Geldbeutel. Genau dieser Stress während des Geschenkeeinkaufs kann im Handumdrehen jede:n noch so begeisterte:n Weihnachtsfanatiker:in in einen frustrierten Ebenezer Scrooge verwandeln. Wenn man zum Beispiel mal wieder Tante Erna vergessen hat und nun verzweifelt auf der Suche nach einem Last-Minute-Geschenk durch die Geschäfte wetzt, fragt sich wohl jeder, ob ein Geschenk-freies Weihnachten nicht friedlicher wäre. Doch nicht nur der Stress ist ein deutlicher Vorfreude-Killer. Das Beteiligen am gesellschaftlichen Konsumrausch lässt einen am Glühwein bitter aufstoßen. Wer glaubt, das schönste, größte, beste Geschenk aus bedingungsloser Liebe heraus bekommen zu haben, hat weit gefehlt. Laut dem Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt [1] geht es um soziales Prestige und den Gewinner im alljährlich wiederkehrenden Geschenkewettlauf. Und nicht nur das! Laut des „Tit for tat“–Systems der Spieltheoretiker in der Ökonomie muss man Großes schenken, um Großes zu bekommen. [2] Im Fall von Tante Erna darf ich also nicht schon wieder 3 Knäuel Strickwolle schenken, da ich sonst mit ihrer Rache in Form von Wollsocken rechnen muss. Also begibt man sich in den reißenden Strudel des Konsums, der ohne Pflicht nach Geschenken gar nicht nötig wäre.

Heißt das, man sollte doch lieber keine Wunschzettel mehr schreiben, Bäume Bäume und nicht absurdes Pinguin-Geschenkpapier bleiben lassen und die Adventszeit statt im Kaufrausch lieber mit der Familie, Freud:innen oder wenigstens der Weinflasche zusammen verbringen? Nicht unbedingt, denn es gibt auch etliche Gründe den roten Mantel noch nicht an den Nagel zu hängen.

Denn was wäre Weihnachten ohne den Mann in Rot und was wäre der ohne Geschenke? Und die Tradition des materiellen Schenkens hat nicht erst mit der Erfindung…ähem…der Entdeckung des Weihnachtsmannes begonnen. Bereits seit dem 14. Jahrhundert gibt es Geschenke im Dezember, am Nikolaustag, um genau zu sein und seit Luther im 16. Jh. den Fokus wieder auf Christus legen wollte, beschenken wir uns am 24 .[3]  Sicher sieht das Schenken heutzutage etwas anders aus: Statt Orangen und Mandeln gibt es Barbies und Nintendos, von Amorelie-Kalendern gar nicht zu reden. Doch die Tradition ist tief in uns verwurzelt (wobei die amerikanschen Weihnachtswunderfilme sicherlich das Ihrige beigetragen haben) und vor allem für Kinder fest mit dem Weihnachtsfest verknüpft, sodass sie definitiv als Grund gegen den Verzicht auf Geschenke und für ein besinnliches Entschlachten des Konsumguts zu nennen sind.

Aber natürlich schenken wir nicht nur aus Tradition und auch sicher nicht nur, um unser Prestige aufzupolieren. Der eigentliche Sinn des Schenkens, vor allem zur Weihnachtszeit, ist es, Freude zu bereiten und damit selber zu empfinden (inwiefern das Egoismus oder Menschenliebe ist, kommt ganz auf den eigenen Optimismus-Level an). Zur besinnlichsten Zeit des Jahres hat man Zeit, sich darauf zu besinnen was man selbst braucht (in Form eines Old-School-Wunschzettels für jene ohne funktionstüchtiges WLAN oder eben auch einer Pinterest-Liste, die man an alle Kontakte sendet), aber auch was andere wollen und ihnen mit einem einzigartigen Geschenk mitzuteilen, dass man sich Gedanken gemacht hat. Oder, um es mit Professor Bruhns Worten zu sagen, ist „Kommunikation, […] Grundlage der friedlichen Zivilisation“. [4] So werde ich Tante Erna also dieses Jahr das schon lange auf ihrer Dawanda-Wunschliste stehende Paar Kork-Ohrringe schenken und damit ein harmonisches Zusammentreffen auf Familienfeiern ermöglichen, was ohne Vergabe dieses metaphorischen Friedenspfeife nicht möglich gewesen wäre.

Summa summarum: Letztendlich sind der Stress und der Konsumrausch zwar nervtötende, aber notwendige Übel, um am Heiligen Abend in Glück (und Papiermüll) schwelgen zu können und sich am Weiterbestehen der Frohsinn-bringenden Tradition des Schenkens zu erfreuen, ohne die Weihnachten einfach nicht dasselbe wäre.

Quellen:
[1] https://enorm-magazin.de/die-schmutzige-gabe
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/psychologie-des-schenkens-eine-besondere-gabe-1.67048
[3] https://www.stern.de/panorama/nikolaus–christkind–weihnachtsmann–die-geschichte-der-geschenkelieferanten-6589646.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/psychologie-des-schenkens-eine-besondere-gabe-1.67048