SOPHIE MARKS. Für mich war Meditation immer etwas, was nicht alle konnten. Man sitzt irgendwo im Lotussitz auf einem Berg, wiederholt alle paar Sekunden „Ommm“ und versetzt seine Gedanken in einen absoluten Ruhestand. Als wirklich alltagstauglich hätte ich es nicht eingeschätzt, dabei ist es in der heutigen Zeit mehr denn je von Vorteil. Von früh bis spät werden wir abgelenkt: Vom Netflix-Gucken bis zur Uni-Vorlesung und auf dem Weg noch Musik hören, da es sonst langweilig wird. Nachts, wenn wir keine externen Einflüsse mehr spüren, kommen die Gedanken, die tagsüber keine richtige Chance hatten, sich frei zu entfalten und das wird schnell anstrengend, wenn man doch eigentlich zur Ruhe kommen will.

Tag 1: Nach einer kleinen Recherche habe ich mich dazu entschlossen, zum einen Atemmeditationen, wo man sich ausschließlich auf den eigenen Atem konzentriert und versucht, alle anderen Sinnesempfindungen auszublenden, und zum anderen geführte Meditationen zu unterschiedlichen Themen auszuprobieren. Dafür habe ich mir ein paar wenige YouTube-Videos von der Berliner Yogalehrerin Mady Morrison herausgesucht, die mir in meinem Selbstversuch helfen sollen.

Ich erhoffe mir von den kommenden Tagen und Wochen, dass mir Meditation hilft, abzuschalten, da ich eigentlich jemand bin, dessen Kopf erst dann anfängt, voll zu arbeiten, wenn ich zur Ruhe kommen will.

Am ersten Abend habe ich mir ein Video für eine 10-minütige Meditation für Anfänger herausgesucht und gleich gemerkt, dass es mir hilft, wenn ich mich auf eine andere Stimme konzentriere. So kann ich leichter meine Gedanken ignorieren. Generell fiel es mir sehr leicht, mich auf wenige Dinge zu konzentrieren. Das lag aber wahrscheinlich daran, dass ich kurze Zeit davor noch Sport gemacht hatte und meine Gedanken so still waren, weil ich einfach erschöpft war. Ganz egal, der erste Tag war schon mal ein kleiner Erfolg.

Tag 2: Ich brauche fast jeden Abend mindestens 20 Minuten, um im Bett herunterzufahren und einzuschlafen. Dann fängt mein Kopf an zu rattern und zu grübeln, zur Ruhe komme ich dabei nicht. Also habe ich mir abends zur Schlafenszeit ein paar Minuten Zeit genommen, um mich bewusst auf meinen Atem zu konzentrieren und ich muss sagen, es fiel mir ein wenig leichter, danach schnell einzuschlafen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es funktionieren würde, die Atemmeditation im Liegen auszuführen und sich sozusagen in den Schlaf zu meditieren. Wenn man seine Gedanken zur Seite schiebt und sich nur auf wenige Empfindungen fokussiert, kann der Schlaf uns einfacher und schneller überrollen.

Es gibt sehr viel zu beobachten, wenn man sich voll und ganz auf seinen Atem als Meditationsobjekt fokussiert. Dabei sollte man den Atem ganz natürlich kommen und gehen lassen, ohne etwas beeinflussen zu wollen. Wie fühlt es sich an, wie sich der Brustkorb hebt und senkt? Wie lange halte ich zwischen dem Ein- und Ausatmen die Luft an? Auf solche Details kann man sich konzentrieren. Man kann auch seine Atemzüge zählen oder innerlich die Wörter „ein“ und „aus“ wiederholen. [1]

Am besten sitzt man aufrecht, zum Beispiel auf einem Stuhl oder mit dem Rücken an der Wand, wie es bequem ist. Es ist nicht verboten, sich zu bewegen, wenn beispielsweise der Nacken schmerzt, dann ist es intuitiv, den Kopf ein wenig kreisen zu lassen. Oft kann es vorkommen, dass man sich schläfrig fühlt. Dann hilft es, sich wieder aufrechter hinzusetzen oder auch die Augen zu öffnen und sich auf einen Punkt zu konzentrieren.

Tag 3: Heute habe ich meine Meditation mal nicht zu Hause ausgeführt, sondern auf der Zugfahrt. Es war der 30. Oktober, der Mittwoch vor einem langen Wochenende, die Bahn war zum Platzen voll. Ohne die Möglichkeit, zu arbeiten oder wirklich produktiv zu sein, war es früher oder später so weit, dass ich mich nicht mehr ablenken konnte und anfing genervt zu sein. Genervt von meinem Sitznachbarn, der sich alle 30 Sekunden räusperte oder seine Nase hochzog, genervt von meinem Gegenüber, der ganz in Ruhe seine Mohrrüben lautstark aß und genervt davon, genervt zu sein. Also habe ich meine Kopfhörer als Ohrstöpsel umfunktioniert, meine Augen geschlossen und fing an, so gut wie möglich alle Geräusche auszublenden und mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Auch wenn ich das nur ein paar Minuten durchgehalten habe, bevor die Störreize aus meiner Umgebung Überhand nahmen, hat es mir geholfen, ein bisschen ruhiger zu werden. Erschöpft war ich nach dieser nervenaufreibenden Zugfahrt trotzdem, aber für den Moment war es hilfreich und auch nach der kleinen Meditationsübung war ich insgesamt ruhiger als zuvor.

Tag 6: Am sechsten Tag meditierte ich mit Hilfe eines 16-minütigen YouTube-Videos. Die erste Zeit klappte das auch ganz gut, allerdings kamen zum Ende hin mehr und mehr Gedanken auf und meine Konzentration ließ nach, weshalb ich nach knapp 10 Minuten für den Tag aufhörte.

Auch in der Psychotherapie wird Meditation gerne eingesetzt. Vor allem bei stressinduzierten Krankheiten helfen mehrwöchige Programme, wie das Mindfulness Based Stress Reduction Programm, welches in acht Wochen verschiedene Übungen durchläuft, von den Grundübungen bis zu anspruchsvolleren Techniken. Angefangen bei einfachen Meditationen im Sitzen steigert sich der Schwierigkeitsgrad bis hin zu Meditationen im Gehen oder auch in Yogastellungen. Ein Teil des Programms ist außerdem der Bodyscan, eine Körpermeditation, in der die Wahrnehmung des eigenen Körpers geschult wird, was dabei helfen kann, Anspannungen früher wahrzunehmen und sie somit oft besser regulieren zu können. In mindestens 30-45 Minuten wird jedem Körperteil, vom kleinen Zeh bis zum Kiefer, Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei soll vor allem auf Verspannungen geachtet werden, doch auch gewöhnliche Sinnesempfindungen, wie eine kalte Hand, werden beachtet und zur Kenntnis genommen. Im Gegensatz zur Progressiven Muskelentspannung, der PMR, wird hier eher der Geist entspannt, durch das achtsame Wahrnehmen der Körperempfindungen. Bei der PMR wird nach und nach jedes Körperteil für einige Sekunden angespannt, was eher zu einer körperlichen Entspannung führt. [2]

Tag 9: Auch heute habe ich es nicht geschafft, meine Konzentration bis zum Ende des Videos aufrecht zu erhalten. In mir kommen Zweifel auf, da es die ersten Tage so gut funktioniert hat. Ich beschließe, in nächster Zeit auf die geführten Mediationen zu verzichten, sondern allein so lange meine Konzentration es zulässt, zu meditieren. Die Fortschritte, die ich bei mir beobachten konnte, waren logischerweise in den ersten Tagen größer. Ich will mich davon aber nicht entmutigen lassen.

Tag 15: Ich muss gestehen, dass ich mir in den letzten Tagen nicht konsequent jeden Tag die Zeit genommen habe, zu meditieren, weshalb ich auch keine weiteren Fortschritte beobachten konnte. Ich schaffe es einige Minuten sehr fokussiert zu sein, was mich auch beruhigt und entspannt. Verlängert hat sich dieses Zeitintervall nicht, was ich aber nicht als negativ bewerten würde. Kurze, 10-minütige Meditationen passen viel besser in meinen alltäglichen Zeitplan, ich bin nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt angewiesen, sondern kann mir die Zeiten flexibel legen. Wer damit Probleme hat, Meditation zu einer Gewohnheit zu machen, kann allerdings ausprobieren, sich einen bestimmten Zeitpunkt dafür auszusuchen. Nach dem Zähneputzen am Morgen oder vor dem Schlafengehen am Abend sind beliebte Zeiten.

Es gibt zahlreiche Vorteile, die bei einer regelmäßigen Anwendung der Meditationsübungen, auftreten. Eine bessere Konzentrationsleistung, bewusstere Entspannung im Alltag, ein leichterer Umgang mit Stress und achtsamere Wahrnehmung sind nur wenige Beispiele. [2]

Tag 19: Eine Atemmeditation im Liegen hilft mir immer noch sehr gut abends schnell einzuschlafen. Ich finde es sehr angenehm, die Gedanken kommen und gehen zu lassen, ohne sie festzuhalten. Auch bei Problemen oder Sorgen fällt es mir mittlerweile leichter, sie „wegzuatmen“, um mich dann ausgeschlafen am nächsten Tag mit ihnen zu beschäftigen.

Tag 21: Nach drei Wochen mehr oder weniger täglichem Meditieren ist mein Selbstversuch zu Ende. Was für mich der größte Fortschritt bzw. die größte Erkenntnis der letzten Wochen war? Eindeutig das schnellere Einschlafen. Jahrelang hat es mich geärgert, dass ich so lange brauche, um meine Gedanken herunterzufahren. Während mein Freund neben mir nach drei Minuten friedlich schlummerte, lag ich neben ihm und war neidisch. Das große Problem ist, wenn man erstmal verärgert ist, nicht einschlafen zu können, fällt das Einschlafen noch schwerer. Es ist ein ziemlich tolles Gefühl, dass man sich nach einiger Übungszeit, so relativ leicht, in den Schlaf atmen kann.

Doch nicht nur vor dem Schlafen sind solche Entspannungsübungen angenehm. Auch wenn ich an einigen Tagen den Kopf voller Probleme aus der Uni oder von der Arbeit hatte, half mir eine kurze Meditation, den Kopf wieder frei zu kriegen, zumindest bis zu einem Punkt, wo ich mich nicht mehr dauerhaft gestresst fühlte.

Es fühlt sich befreiend an, das Gedankenchaos beseitigen zu können. Bis zu einem gewissen Grad ist eine solche Freiheit erlernbar. Anfangs überwiegt oft die innere Unruhe, doch mit der Zeit kommt man einem Zustand der Freiheit immer näher. Natürlich hilft einmal Meditieren nicht dabei, dem Stress eines ganzen Jahres entgegen zu wirken, doch wann immer man sich eingeengt fühlt und die gefühlte Freiheit in weite Ferne gerückt ist, kann man sich mit kleinen Übungen wieder von den eigenen Gedanken befreien. Es ist nicht so, als würde man vor der Realität fliehen, sondern es ist eher ein im-Hier-und-Jetzt-Sein, in dem man sich nicht mit Problemen der Vergangenheit oder Zukunft beschäftigt.

Für mich war der beste Effekt der Meditation die Entspannung. Aus genau diesem Grund konnte ich mich nicht täglich zum Meditieren motivieren, weil ich nicht jeden Tag das Bedürfnis nach mehr Entspannung hatte. Wie oben beschrieben gibt es zahlreiche weitere positive Wirkungen, die vor allem nach regelmäßiger Anwendung auftreten. Ich bin aber mit meiner gefundenen kleinen Entspannungsoase mehr als zufrieden. Ich denke auch nicht, dass ich in der Zukunft jeden Tag meditieren werde. Sollte ich wirklich Entspannung und Ruhe brauchen, dann weiß ich, was ich tun kann. Aber in meinen Alltag werde ich Meditation vorerst nicht integrieren.

Aber jetzt bist du dran! Zur Meditation brauchst du nicht viel. Ein Stuhl, ein Bett oder auch den Platz im Zug und dazu noch deinen Atem, den du sowieso immer dabei hast. Viel Spaß und viel Erfolg beim Ausprobieren!

Quellen:
[1] Mady Morrison: Geführte Anfänger Mediation | 10 Minuten für jeden Tag, 27.04.2017, [YouTube], https://youtu.be/ockCQMt9kM0, 04:55-05:45.
[2] Stock, C. (2012). Achtsamkeitsmeditation. Übungen für mehr Gelassenheit im Leben. Stuttgart: TRIAS.
Bildquellen: Mady Morrison