JULIANE LUCAS. Schlechte Nachrichten schlagen uns auf dem Magen, gleichzeitig trifft unser Bauch aber auch ab und an intuitive Entscheidungen für uns. Was seit Langem in unserer Sprache verwurzelt ist, findet inzwischen auch immer mehr Interesse in der Forschung, sodass man versucht die Interaktion des Gehirns und des Bauches genauer zu ergründen. Im Folgenden wollen wir uns aber nur mit der einen Richtung beschäftigen: Welchen Einfluss haben Darm und Ernährung auf unser Denken, Verhalten und Entscheiden?
Als „zweites Gehirn“, spielt der Darm mit seinen über 200 Millionen Neuronen eine bedeutende Rolle, sind es doch etwa so viele, wie ein Hund in seiner Hirnrinde aufweist. Hinzu kommen noch die ca. 100 Milliarden Mikroorganismen wie zum Beispiel Bakterien, die Substanzen freisetzen, welche sich wiederum ebenfalls auf unsere Persönlichkeit, unser Verhalten und unsere Gesundheit auswirken. Ein Forschungsteam der McMaster University in Ontario tauschte beispielsweise die Mikrobiome, also die Gesamtheit dieser Mikroorganismen des Darms, zweier Mäuse aus, welche daraufhin jeweils die Persönlichkeit des Spenders annahmen. So wurde die einst mutige Maus schüchtern und ängstlich, während die andere die gegenteilige Persönlichkeitsänderung aufwies. [1] Dies spricht für einen unglaublich hohen Einfluss der Darmmikroben auch auf unsere Persönlichkeit.
Auch in der Gesundheitsforschung öffnet der Blick auf unser enterisches Nervensystem völlig neue Türen, zum Beispiel für die Behandlung von Depressionen, die Heilung von Osteoporose und für die rechtzeitige Erkennung von Morbus Parkinson. So klagen Parkinson-Patienten häufig über Verdauungsbeschwerden. Untersuchungen haben gezeigt, dass befallene Nervenzellen im Darm dieselben Schädigungen wie die im Gehirn aufweisen, sodass durch Darmbiopsien Morbus Parkinson diagnostiziert werden kann. Da in einigen Fällen Verdauungsprobleme schon Jahre vor den typischen Symptomen der Krankheit auftreten können, liegt die Vermutung nahe, dass die Krankheit vielleicht sogar ihren Ursprung im Darm hat und sich dann erst weiter in die entsprechenden Bereiche, wie in die Substantia Nigra, im Gehirn ausbreitet. [2]
Aber wie kommt es, dass Hirn und Darm so sehr miteinander verbunden sind? Gehen wir mal viele Jahrtausende zurück, als die Menschen Kontrolle über das Feuer bekamen. Denn erst mit der Beherrschung des Feuers konnte Fleisch gebraten werden, was die Verdauung einfacher und effizienter gestaltete. Somit blieb mehr Energie übrig, die in ein zweites Organ, das Gehirn, gesteckt werden konnte. Im Laufe der Evolution wuchs dieses also vor allem auf Grund der neu gewonnen überflüssigen Energie, die im Gehirn nun für höhere kognitive Prozesse einsetzbar war.
Die starke Verbindung der Nervensysteme besteht heute noch besonders über Substanzen der Mikroorganismen, den Vagusnerv, aber auch über Neurotransmitter, die sowohl im Darm als auch im Gehirn produziert werden und sich auf beide Nervensysteme auswirken. Besonders Serotonin spielt dabei eine bedeutsame Rolle, auch bei der am Anfang erwähnten Forschung zur Behandlung von Osteoporose. Durch erfolgreiches Hemmen der Serotonin-Freisetzung im Darmtrakt gelang es Forschern die Knochenmasse – zumindest bei Nagetieren – so zu regulieren, sodass eine Heilung der knochenschädigenden Krankheit möglich wäre. [3]
Viele Eigenschaften des Darms, wie zum Beispiel die Anzahl bestimmter Bakterien oder die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter, lassen sich nicht direkt und willentlich von uns bestimmen. Doch inwiefern verändern sich unser Verhalten und unsere Persönlichkeit durch unsere Ernährung?
Der Einfluss der aufgenommen Nahrung beginnt schon in der Schwangerschaft. Studien haben ergeben, dass Kinder eher Anzeichen von Wutanfällen und Aggressivität aufwiesen, wenn deren Mütter während der Schwangerschaft besonders viel Junkfood und industriell verarbeitete Lebensmittel zu sich nahmen. Auch bei Mäusen, die ohne Omega-3-Fettsäuren aufwuchsen, sind Verhaltensweisen sichtbar, die bei Artgenossen nicht auftreten. So führt eben jener Mangel zu reduzierten Verästelungen und weniger Verknüpfungen zwischen den Neuronen im Gehirn der Mäuse, sodass Informationen nicht effizient übertragen werden können. Dies hat ein ängstliches und gestresstes Verhalten der Mäuse zur Folge. Auch bei Menschen lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Mangel an Omega-3-Fettsäuren und Aggressivität beobachten. [4]
Für eine gesunde Entwicklung des Gehirns ist es also vor allem wichtig, sich ausgewogen zu ernähren. So können alle Nährstoffe und Mineralien aufgenommen werden und neben dem Körper auch den Geist stärken. Für unser Gehirn sind dabei besonders verschiedene Gemüsearten und Hülsenfrüchte sinnvoll.
Doch selbst wenn wir uns bewusst ernähren, haben wir keine komplette Kontrolle über unser Verhalten: Ernährung kann auch unsere Entscheidungen beeinflussen. Eine Studie hat gezeigt, dass abhängig von der Zusammensetzung eines Frühstückes, Entscheidungen unterschiedlich gefällt werden. Bei einem Verhaltensexperiment, bei dem eine fiktive Person entscheidet, wie sie zehn Euro auf zwei Personen aufteilt, zeigten sich Probanden weniger über eine ungerechte Behandlung verärgert, wenn sie zuvor ein proteinreiches Frühstück zu sich genommen hatten. Demnach sind sie eher bereit, die Einteilung der zehn Euro zu akzeptieren und den Betrag entgegenzunehmen. Dies ist auf die Zunahme der Dopaminausschüttung durch Tyrosin zurückführbar, welches mit der proteinreichen Nahrung verstärkt aufgenommen wurde. [5] Bei proteinarmer Nahrung hingegen lehnten die Probanden die Aufteilung des Geldes bei gefühlter Ungerechtigkeit eher ab, obwohl sie dadurch gar kein Geld ausgezahlt bekamen. Demnach kann unsere Ernährungsweise durchaus unsere Entscheidungen und auch Gefühle beeinflussen.
Zusammengefasst: Dadurch, dass sich unser Gehirn erst nach dem Darm entwickelt hat und wir dessen Entwicklung und Aufbau durch unsere Nahrung mitbestimmen, liegt eine entscheidende Beeinflussung durch den Darmtrakt vor. Während wir im Psychologiestudium vorherrschend das Gehirn untersuchen, liegt der Ursprung mancher Krankheiten oder Verhaltensweisen vielleicht sogar noch tiefer, als wir annehmen. Doch langsam treten immer wieder neue Erkenntnisse zutage, sodass uns in den kommenden Jahren vielleicht noch etwas mehr Forschung bezüglich des enterischen Verdauungssystems erwartet.
Quellen:
[1] Schmidt, C. (2015, March 1). Mental Health May Depend on Creatures in the Gut. Retrieved from https://www.scientificamerican.com/article/mental-health-may-depend-on-creatures-in-the-gut/.
[2] Denjean, C. [ARTEde]. (2019, October 12). Der kluge Bauch: Unser zweites Gehirn ǀ Doku ǀ ARTE. [Video file]. https://www.youtube.com/watch?v=sNSaGgmsc6o
[3] Hadhazy, A. (2010, February 12). Think Twice: How the Gut’s „Second Brain“ Influences Mood and Well-Being. Retrieved from https://www.scientificamerican.com/article/gut-second-brain/.
[4] Hitier, R. [ARTEde]. (2019, September 14). Unser Gehirn ist, was es isst ǀ Doku ǀ ARTE. [Video file]. https://www.youtube.com/watch?v=0vj47QaL8Y0
[5] Strang, S., Hoeber, C., Uhl, O., Koletzko, B., Munte, T. F., Lehnert, H., … Park, S. Q. (2017). Impact of nutrition on social decision making. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 114(25), 6510–6514. https://doi.org/10.1073/pnas.1620245114