oder: verrückt-freundlich-verwirrt-freudsche Birkenstockträger männlichen Geschlechts
SASKIA RIEDELBAUCH. „Kannst du jetzt meine Gedanken lesen?“, „Oh da muss ich jetzt aber aufpassen, was ich dir gegenüber sage“, „Analysierst du mich jetzt?“, diese typischen Fragen kennt wohl jede:r Psychologiestudierende. Oft wird man mit den verschiedensten Stereotypen konfrontiert, wenn man erzählt, dass man Psychologie studiert. Die meisten sind (leider) weit entfernt von der Realität. Was sind die typischen Vorurteile der Gesellschaft von Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen („Psychos“)?
Psycholog:innen forschen gerne. Sie untersuchen die unterschiedlichsten Sachen: die psychische Entwicklung vom Kleinkind bis zum/zur Rentner:in, die zahlreichen kognitiven Funktionen des Menschen sowie deren Sozialverhalten, ideale Arbeitsbedingungen und die Interaktion von Mensch und Maschine… Die Liste könnte ewig fortgeführt werden. Doch Psycholog:innen interessieren sich nicht nur für andere Menschen, sondern auch für sich selbst. Beziehungsweise für ihren eigenen Ruf. Dank dieses Interesses bestehen verschiedene Veröffentlichungen, die sich um das Image von Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen in der Öffentlichkeit drehen. Dies ermöglicht eine wissenschaftlichere Betrachtung des Themas und ich muss mich nicht nur auf eigene Erfahrungen und pseudo-wissenschaftliche Berichte stützen. Ein Hoch auf die Neugier der Psycholog:innen!
Kirsten von Sydow von der Psychologischen Hochschule Berlin fasste in ihrer Veröffentlichung „The public image of psychologists, psychotherapists, and psychiatrists: A systematic review“ [1] aus dem Jahre 2007 umfangreich zahlreiche Ergebnisse empirischer Forschung zusammen. Sie weist auf die mangelnde Differenzierung der verschiedenen psychologischen Tätigkeiten hin sowie auf die Tendenz, dass alle „Psychos“ mit Psychotherapie assoziiert werden. Psycholog:in, Psychotherapeut:in, Psychiater:in? Alles das Gleiche, zumindest für den Großteil der Öffentlichkeit. Dieses Phänomen ist wohl allen bekannt. Ich persönlich habe schon oft genug bemerkt, dass die breite Masse nicht Bescheid weiß über die Vielfältigkeit der Psychologie. So wurde ich selbst als Psychologiestudentin schon öfter direkt als zukünftige Therapeutin abgestempelt, ohne dass andere psychologische Berufe überhaupt in Betracht gezogen wurden.
In den 1960er Jahren (und in gewissem Ausmaße auch heute) dachte man in der Öffentlichkeit, dass Psycholog:innen für weniger ernste psychologische Probleme verantwortlich sind. Für ernste mentale Probleme und die Verschreibung psychoaktiver Drogen hielt man Psychiater:innen für zuständig. Mit der Zeit wandelte sich diese Vorstellung. In den 1990er Jahren wurden Psychotherapeut:innen schließlich als gleichsam verantwortlich für die Behandlung von Depression, suizidalen Tendenzen, Drogen- und Alkoholabhängigkeit gesehen, wie Psychiater:innen [2].
Von Sydow beschreibt in ihrem Paper die Männlichkeit des „Psycho-Stereotyps“. Hiermit ist gemeint, dass in den Medien und in den Vorstellungen der Gesellschaft „Psychos“ fast ausschließlich männlichen Geschlechts sind. So seien beispielsweise lediglich 2% der Cartoon-Therapeut:innen weiblich, in Filmen sind es 25-29% [1] . Jede:r, der/die in den letzten Jahren einmal in einer Psychologie-Vorlesung saß, weiß, dass es in der Realität ganz anders aussieht. Wenn man sich die Psychologiestudierenden anschaut, wird schnell deutlich, dass die Frauen deutlich in der Überzahl sind. In manch einer Vorlesung muss man regelrecht suchen, um die ein oder andere männliche Person zu Gesicht zu bekommen.
Doch wie sehen „typische“ Psycholog:innen optisch eigentlich aus?
Es gibt vier verschiedene Typen des stereotypischen Aussehens von „Psychos“ [1] . Der erste Typ entspricht dem Bilde Sigmund Freuds. So stellt sich eine Vielzahl der Menschen einen bebrillten Mann mittleren Alters mit Bart und ergrauenden bzw. weißen Haaren sowie seriöser Bekleidung vor. „Ernsthaft?“, ging mir beim Lesen des Berichts durch den Kopf. Als Psychologiestudent möchte man meinen, die Vorstellungen der Öffentlichkeit gehen über die freudianische Psychologie hinaus. Jetzt wird die Psychologie also nicht nur mit Psychoanalyse gleichgesetzt, sondern Psycholog:innen sollen auch noch aussehen wie Freud? Herzlichen Dank. Doch es gibt noch mehr Typen von „Psychos“, die den Stereotypen der Masse entspringen. Der zweite Typus ist „der Öko“, der dritte „der Intellektuelle“ und der vierte „der Neurotiker“. (Das wird ja immer besser.) Letzterer ist gekennzeichnet durch unordentliche Haare, unpassende Kleidung und verwahrlostes Aussehen. Schon irgendwie traurig, dass man als Psycholog:in scheinbar einfach nicht normal aussehen kann. Aber Menschen, die im Bereich der Psychologie arbeiten, sind doch sowieso alles andere als „normal“, oder nicht?
„45% der Befragten einer deutschen Internetstudie meinten, Psychologen hätten selbst einen ‚Tick‘“ [1] . Ich selbst konnte mir schon Sprüche wie „Ihr Psycholog:innen habt doch auch nicht mehr alle Tassen im Schrank“ oder „Psycholog:innen sind doch selbst alle irgendwie verrückt“ anhören. Was für Stereotype über die Persönlichkeit eines „Psychos“ bestehen? Die Vorstellungen scheinen sehr ambivalent zu sein. So werden Tätige im Bereich der Psychologie „allgemein als professionell, empathisch, interessiert, ruhig, intelligent, kompetent, kompliziert, undurchschaubar, labil und eher feminin“ [1] beschrieben. Dabei seien Psychiater:innen als professioneller angesehen verglichen mit Psycholog:innen, allerdings auch als „kühler, uninteressierter und feindseliger“ [1]. Einerseits bestehen Vorstellungen von Psycholog:innen als empathische Hilfefiguren, andererseits allerdings auch als ihren Klient:innen schädigend und Grenzen überschreitend. Letzteres ist scheinbar ein reales Problem, welches in den Medien übertrieben dargestellt wird. So zeigten beispielsweise US-Studien, dass „14,2% der männlichen und 4,7% der weiblichen sexuellen Kontakt mit (ehemaligen) Patienten hatten“ [1] . (Seht ihr, es war doch klar, dass irgendetwas mit den Psychos nicht stimmt!).
Kein Wunder, dass Psycholog:innen bei diesen Stereotypen in den Medien in den meisten Fällen als ineffektiv dargestellt werden. So seien die meisten Psychiater:innen in Cartoons beispielsweise nicht in der Lage, etwas an dem Zustand ihrer Patient:innen etwas zu verändern. Bei 75% der Cartoon-Patient:innen zeigte sich keine Veränderung und bei 15% verschlechterte sich gar ihre Verfassung [2] . Die Medien dachten sich die verschiedensten Persönlichkeiten von Psychiater:innen aus, die ihre Patient:innen auf die mehr oder (besonders) die weniger seriöse Weise therapierten. So behandelte rund 35% der Psychiater:innen in Filmen, welche als idiotisch oder gar kindisch dargestellt wurden, ihre Patient:innen mit bizarren oder unüblichen Methoden. In 22% der Fälle werden die Psychiater:innen sogar als warm, menschlich, bescheiden und väterlich dargestellt. Bis auf die Tatsache, dass sie damit wieder auf das männliche Geschlecht reduziert werden, gar nicht mal so übel. Doch eben diese Film-Psychiater:innen nutzen dann Improvisation und unorthodoxe Methoden, um ihren Patient:innen erfolgreich helfen zu können. Normale Therapie scheint also wirklich einfach nicht zu funktionieren. Doch es kommt noch besser: Rund 15% der Medien-Psychiater:innen werden als „manipulative Monster“ dargestellt, die sich in verbotenen und gefährlichen Bereichen des Experimentierens bewegen und ihre Macht für persönlichen Profit ausnutzen. [2]
Frauen, die im Bereich der Psychologie arbeiten, sind in den Medien sowie in den Stereotypen der Öffentlichkeit nicht nur unterrepräsentiert. In Cartoons zum Beispiel werden Psychaterinnen oft als Sexobjekte oder Hausfrauen dargestellt. In Hollywood-Filmen werden weibliche Psychotherapeutinnen als körperlich attraktiv dargestellt. Schön und gut, dazu kommt allerdings noch, dass sie gleichzeitig als „Misserfolg als Frau“ präsentiert werden. So sind sie unter anderem unfähig eine stabile heterosexuelle Beziehung zu führen, unerfüllt sowie abweisend gegenüber Kindern. Als Therapeutin helfen sie nicht ihren Patient:innen, sondern lassen sich von ihnen helfen, indem sie Heilung dadurch erfahren, dass sie sich in Patient:innen verlieben. [2] „Ernsthaft?“, frage ich mich erneut, den Kopf schüttelnd.
Puh, wenn man das alles liest, mag man denken, die Öffentlichkeit hält uns Psychos für vollkommen durchgedreht. Glücklicherweise ist dies aber nicht immer so und das Gesellschaftsbild wandelt sich immer mehr hin zum Positiven (wenn auch nicht besonders schnell). So zeigte sich beispielsweise eine Zunahme der Bereitschaft, Therapie im Allgemeinen zu befürworten sowie eine erhöhte Aufsuche psychiatrischer oder psychotherapeutischer Hilfe bei Schizophrenie oder Depression in Deutschland im Jahre 2001 im Vergleich zu 1990 [4] .
Wenn es nur um die persönlichen Gefühle der Psycholog:innen ginge, dann könnte man all diese Stereotype hinnehmen und sich irgendwie damit abfinden. Doch das ist leider nicht alles, denn auch Menschen mit psychischen Problemen sind letztendlich schlechter dran wegen dieser Stereotype. In einer Studie von 1993 zeigte sich, dass lediglich 33% einer repräsentativen deutschen Stichprobe mit psychischen oder psychosomatischen Beschwerden Psychotherapie in Anspruch nahmen. Von den 67%, die psychotherapeutische Behandlung ablehnten, tat dies ein Drittel aufgrund von negativen Einstellungen gegenüber Psychotherapie oder aus Angst davor [2] . Also halten die (meist negativen) Vorstellungen von „Psychos“ einen beachtlichen Teil der Gesellschaft davon ab, Therapie in Anspruch zu nehmen, die ihnen womöglich weiterhelfen könnte. Das Image von Psychotherapie spielt im Hinblick auf den Erfolg einer Therapie eine bedeutende Rolle. Der Erfolg einer Therapie ist geringer und die Schwierigkeit des Prozesses der Therapie erhöht bei Patient:innen mit geringer Akzeptanz gegenüber Psychotherapie [3] . Dies deutet auf die Notwendigkeit hin, höhere Akzeptanz von Psychotherapie in der Öffentlichkeit anzustreben, um Therapieerfolg zu gewährleisten und Menschen mit psychischen Problemen helfen zu können.
Fassen wir zusammen: „Psychos“ sind männlich, sehen aus wie Freud, sind höchst ineffektiv in der Behandlung ihrer Patient:innen und haben selbst einen Tick. Wenn „Psychos“ ausnahmsweise doch mal Frauen sein sollten, sehen sie lediglich gut aus und verknallen sich in ihre Patient:innen, anstatt sie erfolgreich zu therapieren. Wie es in der Realität aussieht, wisst ihr vermutlich selbst am besten. Wir „Psychos“ sind auch nur normale Menschen und nicht häufiger verrückt oder durchgeknallt als andere auch. Genauso wenig wie jede andere soziale Gruppe kann man uns „Psychos“ in eine Schublade stecken, über einen Kamm scheren oder alle als gleich abstempeln. Wir sehen nicht alle aus wie Freud, tragen Birkenstock-Sandalen oder laufen mit zerzausten Haaren und schief sitzender Brille verwirrt durch die Gegend. Manch einer mag wohl so ausschauen, doch das wäre eher die Ausnahme als die Regel. Schaut euch das nächste Mal, wenn ihr in einer Vorlesung seid, einfach mal um und seht selbst, wie unterschiedlich die Psychologiestudierenden doch sind. Klärt euer soziales Umfeld auf und macht euren Bekannten, Freund:innen und eurer Familie klar, dass Psychologie mehr als Psychotherapie und Psychoanalyse ist. Ihr habt es in der Hand, das Gesellschaftsbild von uns „Psychos“ mit zu verändern.
Quellen:
[1] Von Sydow, K. (2007). Das Image von Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern in der Öffentlichkeit. Psychotherapeut, 52(5), 322-333.
[2] Von Sydow, K., & Reimer, C. (1998). Attitudes toward psychotherapists, psychologists, psychiatrists, and psychoanalysts: A meta-content analysis of 60 studies published between 1948 and 1995. American journal of psychotherapy,
52(4), 463.
[3] Fischer, P. (2007). Das Image der Psychotherapie.
[4] Angermeyer, M. C., & Matschinger, H. (2005). Have there been any changes in the public’s attitudes towards psychiatric treatment? Results from representative population surveys in Germany in the years 1990 and 2001. Acta Psychiatrica Scandinavica, 111(1), 68-73.