PAULA BÖHLMANN. Wir alle haben das Bild des gestressten Managers, der überarbeiteten Bürofachkraft und der zahlreichen Burnout-Patienten vor unserem inneren Auge. Burnout gilt in unserer heutigen Leistungsgesellschaft mittlerweile schon als makaberer Orden für Engagement. Wer nicht gestresst ist, gilt als faul, egal ob er sich selbst vor Arbeit drückt oder wirklich nicht mehr zu tun hat. Doch nicht nur der gesellschaftliche Druck, einen Job zu haben, bei dem man immer 110% geben muss, sondern auch die Tatsache an sich, chronisch unterfordert und gelangweilt zu sein, zermürbt. Dies kann ein Boreout zur Folge haben.

Um was es sich bei einem Boreout handelt, ist aus dem Namen ersichtlich. Es bildet das Pendant zum Burnout-Syndrom. So wird es nicht von Über-, sondern einer Unterforderung ausgelöst.

Im Gegensatz zu seinem großen Bruder ist das Boreout-Syndrom weder sonderlich gut erforscht, noch weitestgehend anerkannt. Schließlich sagen die Leute viel lieber, dass sie von zu viel als von zu wenig Arbeit belastet werden. Wer gibt schon gern zu, unwichtig bzw. unproduktiv zu sein?

Wie zeigt sich ein Boreout?

Laut einer Umfrage von Malachowski aus dem Jahre 2005 gaben ein Drittel der Arbeitnehmer an, bei ihrer Arbeit nicht genügend zu tun zu haben. [1] Daraus folgen Langeweile, Unterforderung und Desinteresse.

Unterforderung kann durch zu wenig Arbeit, aber auch durch Aufgaben, die unterhalb der Fähigkeiten des Arbeitnehmers liegen, hervorgerufen werden. Zu gut für seinen Job zu sein, macht nicht glücklich: Eine Studie von Kelly Services zeigte, dass 44% aller Arbeitnehmer, die angaben, unzufrieden zu sein, unterfordert in ihrem Job waren. [1]

Spaß, Motivation und Interesse für den Beruf nehmen ab, was dazu führt, dass keine weiteren Aufgaben mehr gesucht werden, wodurch man den Teufelskreis der Unterforderung nicht verlassen kann. Man gewöhnt sich daran, weit unter seinem eigenen Leistungsvermögen zu arbeiten, sodass es gar nicht mehr möglich erscheint, mehr Aufgaben zu bewältigen. [2]

Sonderbar ist jedoch, dass der Arbeitnehmer zwar von der Situation belastet ist und sogar angibt, unzufrieden zu sein, aber nicht versucht, aus dieser Situation auszubrechen. Im Gegenteil werden noch Strategien entwickelt, um sich die Arbeit, für die er mittlerweile jegliche Begeisterung verloren hat, vom Leib zu halten. Dies bezeichneten Rothlin & Werder als „Boreout-Paradox“. [1]

Strategien, um weniger arbeiten zu müssen, sind vielfältig. Sie reichen von häufigen Toiletten- und Raucherpausen, über geschickt geplante Meetings mit langen Zwischenpause (aber keinen zu langen Pausen, dass es sich lohnen würde, an seinem Schreibtisch zu arbeiten), bis zu Strategien, um den Chef zu verheimlichen, dass man das Projekt auch in einer viel geringeren Zeit erfüllen könnte. Rothlin & Werder unterscheiden diesbezüglich zwischen der „Komprimierungsstrategie“, bei der das Projekt so schnell wie möglich erledigt und die restliche Zeit bis zur Deadline mit Freizeit verbracht wird, und der „Flachwalzstrategie“, bei der ein Projekt durch ineffiziente Arbeit auf eine längere Dauer gestreckt wird. [1]

Um den Job nicht zu verlieren oder von den Kollegen als faul abgestempelt zu werden, beginnen viele Betroffene ein belastendes Schauspiel, in dem sie sich selbst, dem Chef und den Kollegen vorgaukeln, sie seien beschäftigt oder sogar gestresst von ihrem Job. Dieses Verhalten bezeichnen Rothlin & Werder als „Pseudo-Burnout-Strategie“. [1]

Betroffene simulieren jedoch nicht nur den Stress, sondern die Unterforderung und die damit einhergehenden Emotionen bringen echten Stress mit sich. So wird die zusätzliche Freizeit auf Arbeit nicht als entspannend, sondern vielmehr als ermüdend empfunden. Aus diesem Grund erscheinen Boreout-Patienten auch oft müde und gereizt. [1]

Viele versuchen aus der Situation zu fliehen, indem sie sich für eine körperliche Krankheit schneller krankschreiben lassen, als sie es getan hätten, wenn sie mit ihrem Job zufrieden wären. [2]

Einfluss ständiger Unterforderung

Wir brauchen große Berge, die wir bezwingen können. Wer lieber einen Hügel in Holland als den Mont Everest erklimmt, wird wohl nicht am Ende seines Weges die Arme nach oben reißen und voller Freude rufen, er habe es geschafft. Er wird sich umschauen, mit den Schultern zucken und wieder nach Hause gehen.

Auf den ersten Blick klingt ein zu entspannter Job beinahe paradiesisch, doch der Schein trügt. Menschen benötigen Hürden, um Erfolge als solche zu spüren. Nur so kann man seine Selbstwirksamkeitserwartung steigern. Da bei den meisten Menschen das Selbstbewusstsein stark von den beruflichen Erfolgen abzuhängen scheint, fühlen sich Menschen mit Tätigkeiten, die unter ihrem Leistungsvermögen liegen, häufig wertlos. Keine Erfolge sind auch Misserfolge!

Des Weiteren kommen Schuldgefühle hinzu, da man sich ständig fragen muss, wofür man sein Geld bekommt und welche Existenzberechtigung man in der Firma überhaupt hat.

Das richtige Anforderungsniveau zu finden, ist wie das Balancieren auf einem Drahtseil. Wenn man sich keinerlei Herausforderungen stellt, wird man genauso wenig glücklich, wie wenn man sich zu viele Aufgaben aufbürdet und über seine eigenen Ressourcen geht.

Ursachen und Lösungen

Nicht nur für den Betroffenen selbst stellt das Boreout eine massive Belastung dar. Auch für das Unternehmen können Angestellte mit Boreout zu einer Kostenfalle werden, schließlich bleiben sie, von Demotivation geplagt, ständig unter ihrem Leistungsoptimum, auch dann, wenn es wieder etwas zu tun gäbe.

Die Ursachen für ein Boreout sind vielfältig. Sie können am Arbeitnehmer selbst liegen, wenn er schlicht das falsche Berufsfeld oder auch nur eine Branche, die ihn weder interessiert noch herausfordert, gewählt hat. Hier hilft lediglich ein Jobwechsel.[3] Jedoch gestaltet sich dies mit zunehmendem Alter für die Berufstätigen leider immer schwerer.

Ein weiteres Problem kann Mobbing am Arbeitsplatz sein. Wenn man von seinen Kollegen in die Projekte nicht einbezogen wird oder immer nur Aufträge erhält, für die man überqualifiziert ist, kratzt das nicht nur am Ego, sondern es bleibt auch jegliche Herausforderung aus. Die Arbeit wird eintönig und langweilig.

Auch eine suboptimale Unternehmensstruktur kann die Entstehung eines Boreouts fördern. Wenn sich Boreout wie eine Epidemie in der Firma ausbreitet, sollten die Führungskräfte ihr Verhalten überdenken und gegebenenfalls dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter mehr mit dem Unternehmen identifizieren und somit die Motivation für die Arbeit nicht verlieren. Das kann zum Beispiel mit Delegation von Aufgaben aus der Führungsebene geschehen. Auch der Drang einiger Teamleader, ihre Teams ständig zu vergrößern, um die Wichtigkeit des Projekts zu demonstrieren, kann dazu führen, dass zu viele Mitarbeiter auf eine unwichtige Aufgabe angesetzt werden, nur um sich dann zu langweilen.

Ein weiteres Problem, was Rothlin & Werder sehen, sind aufgeblasene Stellenbeschreibungen, die spektakulärere Aufgaben versprechen, als sie tatsächlich bieten. So kann der zukünftige Mitarbeiter nur enttäuscht werden und sich später langweilen.

Prävention für Boreout

Ein auf Vertrauen und Wertschätzung basierendes Arbeitsverhältnis kann vor Boreouts schützen, indem den Mitarbeitern die Chance eingeräumt wird, selbst kreativ zu werden, Verbesserungsvorschläge fürs Unternehmen anzubringen oder bei chronischer Unterforderung ein Gespräch mit dem Chef zu suchen, ohne gleich um den Arbeitsplatz bangen zu müssen. [3]

Rothlin & Werder betonen, dass eine Kontrolle der Arbeitnehmer durch den Chef nur wenig hilfreich sei. Auch wenn bestimmte Internetseiten auf dem Arbeitscomputer blockiert werden, sodass der Arbeitnehmer zum Beispiel keine privaten Nachrichten mehr verschicken kann, löst das nicht das Problem, dass sich von der Arbeit abgelenkt wird. Stattdessen wird schlicht vom Computer aufs Smartphone umgestiegen. Bevormundung verhindert kein Boreout. [1] Vielmehr sollte der Fokus auf der Eigenverantwortung der Arbeitnehmer liegen. Die Autoren betonen, wie wichtig es sei, dass man dafür Sorge trägt, dass die Arbeit, nicht nur einen monetären Lohn, sondern auch einen qualitativen Lohn mit sich bringt. Dafür ist es wichtig, dass der Arbeitnehmer sich eine Tätigkeit sucht, in der er Sinn sieht, sich für seine Aufgaben interessiert und auch seine Einstellung zur Arbeit überdenkt, um ihr auch etwas Positives abgewinnen zu können, wenn es gerade einmal eintönig ist. Zum anderen sei es von großer Bedeutung, dass man seine Zeit mit etwas verbringt, was man als sinnvoll erachtet. [1]

Fazit

Nicht alle Arbeitnehmer, die in ihrem Job unterfordert sind und sich von Zeit zu Zeit langweilen, belasten damit ihre Psyche. Wer damit zufrieden ist, dass er unter seinen eigenen Fähigkeiten arbeitet, aber seine Aufgaben dennoch gewissenhaft erledigt und nicht das Interesse an seinem Job verliert, kann dennoch glücklich sein. Boreout ist zwar zum Großteil in einem falschen Job oder der falschen Firma gefangen zu sein, aber auch eine Einstellungsfrage und der Mut zur Veränderung, um der Unzufriedenheit zu entfliehen.

Schließlich braucht jede*r irgendeine Herausforderung oder ein bisschen Nervenkitzel, um am Ende des Tages, auf sich stolz zu sein, oder?

Quellen:
[1] Rothlin, Werder: Diagnose Boreout, 2007, Redline Wirtschaft GmbH, Heidelberg
[2] Prammer:  Boreout – Biografien der Unterforderung und Langeweile: Eine soziologische Analyse, 2012, Springer S.17
[3] Rothlin, Werder: Die Burnoutfalle, 2009, Redline Wirtschaft GmbH, München