JANINA BILLIAN. Welche Rolle spielen Stereotype wie „Bad Boy“ oder „Good Guy“ in unserem Alltag und wie prägen Beispiele aus Prominenz und Medien unsere Idealvorstellung von Beziehungen? Dieser Artikel soll als persönlicher Kommentar kritisch den Einfluss der modernen Popkultur auf meine eigenen Vorlieben und die Mechanismen der Partnerwahl beleuchten. Als junge Frauen war ich, genau wie die Gleichaltrigen meiner Kohorte, zahlreichen literarischen und filmischen Einflüssen ausgesetzt, welche für eine lange Zeit meine Vorstellung von Attraktivität und Beziehungsgestaltung geprägt haben. Einiges davon habe ich persönlich rückblickend als schädlich empfunden. Im Folgenden möchte ich die fiktiven Figuren aus Stephenie Meyers „Twilight“ nach dem Schema „Bad Boy“ und „Good Guy“ einer kritischen Würdigung unterziehen.
Achtung, Twilight-Triggerwarnung: Der folgende Artikel setzt sich kritisch mit dem Phänomen der berühmten Vampirsaga und ihrem Einfluss auf die Partnerwahl von jungen Mädchen und Frauen auseinander. Es besteht das Risiko, dass die Gefühle bekennender Fans verletzt und die Antihaltung bekennender Hater verstärkt werden.
„Frauen stehen auf Bad Boys!“ – Ein Satz, den man auch heutzutage sehr oft zu hören bekommt. Zumindest subjektiv, durch Beobachtungen im Freundes- und Bekanntenkreis und eigene Erfahrungen scheinen Männer, die sich moralisch häufiger fragwürdig verhalten, einen gewissen Reiz auf die Frauenwelt auszuüben. Und zwar nicht ausschließlich auf Frauen, die man in der Alltagssprache ebenfalls als „Bad Girl“ einordnen würde, sondern auch auf Frauen, die – zumindest nach außen – freundlich, brav, schüchtern, zuverlässig und gewissenhaft wirken. Ein Indiz für die These stellen zudem die häufigen Fälle körperlicher Gewalt in intimen Beziehungen dar, bei denen Frauen nach wie vor zahlenmäßig deutlich häufiger als Opfer betroffen sind. Natürlich lässt sich hier einwerfen, dass nicht alle Männer, die sich im Laufe der Beziehung ihren Partnerinnen gegenüber der Körperverletzung schuldig machen, von Anfang an eine „Bad Boy“-Aura mitbringen. Rückwirkend lässt sich schwer sagen, ob eine Frau sich trotz oder wegen dieser Aura ihren „Bad Boy“ ausgesucht hat. Im Extremfall der Hybristophilie verliebt eine Frau sich tatsächlich aufgrund der von ihm begangenen Verbrechen in einen Mann – und zwar wird nicht Ladendieben und Steuerhinterziehern dieses „Glück“ zuteil, stattdessen profitieren eher Männer nach schweren Gewaltdelikten, Vergewaltigungen und Morden von der sexuellen Orientierung hybristophiler Frauen. So erfreuten sich Serienmörder von den Kalibern eines Ted Bundy und eines Charles Manson einer nicht abreißenden Welle von Liebesbriefen, bis in die Todeszellen hinein
An der Stelle möchte ich kurz die zwei Stereotype des „Bad Boy“ und des „Good Guy“ gegenüberstellen: Der „Bad Boy“ hat einige Eigenschaften inne, die nach klassischen Männlichkeitsvorstellungen als wünschenswert gesehen werden: Selbstbewusstsein, ein Hang zur Rebellion, Durchsetzungsvermögen – sowie die Bereitschaft, sich zum Erreichen der eigenen Ziele über Regeln hinwegzusetzen und sich skrupellos zu verhalten. In der Literatur werden „Bad Boys“ mal als Alphatiere, mal als Außenseiter dargestellt. Durchweg haftet ihm jedoch etwas Geheimnisvolles an, da es nicht immer leicht zu verstehen ist, was ihn im Innersten antreibt. Meistens erklärt der „Bad Boy“ sich anderen gegenüber nicht. Den „Bad Boy“ gibt es in verschiedenen Ausprägungen: Mal macht er der Gesellschaft und insbesondere der weiblichen Heldin das Leben als Krimineller, als abgebrühter Frauenheld, als „gebrochener Mann“ mit düsterer Vergangenheit, als unangepasster temperamentvoller Rebell das Leben schwer. Der Umgang mit ihm ist oft schwierig, er verletzt andere Menschen auf psychischer und körperlicher Ebene, tut dies aus mehr oder weniger hehren Motiven heraus. Dennoch muss man um ihn kämpfen, damit er sich letztendlich öffnen und anvertrauen – und dadurch ändern kann. Letztendlich darf der „Bad Boy“ also nicht so bleiben, wie er ist. Nicht die Heldin soll also von ihm gerettet werden, sondern er von ihr. Auffallend oft werden seine charakterlichen Schwächen durch seine äußerliche Schönheit vermeintlich überkompensiert – die Heldin wird für ihre vorangegangenen Strapazen und ihr Herzleid durch einen tiefen Blick aus seinen stahlblauen Augen entschädigt.
Der „Good Guy“ dagegen tritt freundlich und hilfsbereit auf, unterstützt andere dank seiner prosozialen Ader, setzt sich für positive Veränderungen in der Welt ein, kann durchaus zum Lebensretter und zum Helden des Tages werden. Bei ihm kann sich die Heldin durch seine empathische Art gut aufgehoben und beschützt fühlen – gleichzeitig aber bringt der „Good Guy“ ihr als ebenbürtige Partnerin Respekt und Vertrauen entgegen und unterstützt sie dabei, ihr Potential zu entfalten statt sie klein zu halten. Mögliche Makel des „Good Guy“ sind seine Schüchternheit, seine langweilige Berechenbarkeit, sein aufopferungsvoller Altruismus, wodurch er selbst zurückstecken muss und, da ihm häufig nicht das unverschämt gute Aussehen des „Bad Boy“ zugeschrieben wird, verweilt er in der Friendzone.
So viel zu den Klischees.
Diese Stereotype finden sich vielfach in der modernen Popkultur. Fangen wir mit einer der bestverkauften Romanreihe der späten 2000er-Jahre an: Ihr ahnt es schon, es geht um „Twilight“ von Stephenie Meyer. In vier Romanen wird die Liebesgeschichte der menschlichen Jugendlichen Bella zum deutlich älteren, jedoch unsterblichkeitsbedingt äußerst gut konservierten Vampirs Edward geschildert. Ich war dreizehn Jahre jung und viel leichter zu beeinflussen, als mir bewusst war, als mir der erste dieser Romane in die Hände fiel. Die Geschichte schlug in meinem synaptischen System ein wie eine Bombe. Als Dreizehnjährige war das Interesse an Liebesgeschichten ebenso stark wie mein Wunsch, selbst endlich eine solche zu erleben. Die vorübergehende Fixation auf den vermeintlich vollkommenen Vampir Edward sorgte dafür, dass ich (vergeblich) nach einem jungen Mann Ausschau hielt, der diesem Ideal möglichst nahe kam. Meine Begeisterung für Twilight flachte nach den letzten filmischen Umsetzungen zunehmend ab – die Einsicht, dass Vampir Edward – oder ein Mann, der so ticken würde – für mich als Partner nicht infrage käme, folgte allerdings erst nach gründlicher Auseinandersetzung ein paar Jahre später. Wie ist Edward so drauf? Zunächst steckt er kognitiv-moralisch in der Zeit des 1. Weltkriegs, den 1910ern, fest – zwar im unveränderlich attraktiven Körper eines Jugendlichen, doch ein Hinterfragen seiner teilweise veralteten Wertvorstellungen bleibt trotz moderner Einflüsse aus. Als Beispiel möchte ich hier seine Verknüpfung von Tugendhaftigkeit mit dem Unterlassen von Sex vor der Ehe nennen. In der Beziehung mit Bella agiert er dominant-kontrollierend, eifersüchtig, schweigt sich häufig über seine Gedanken und Gefühle aus, wirkt abweisend und unerreichbar. Besonders problematisch ist seine Tendenz zum Stalking, was bei Twilight bedauerlicherweise äußerst romantisiert dargestellt wird. Ich hoffe sehr, dass nachfolgende Generationen nicht eine einzige Sekunde lang den Einbruch in das private Schlafzimmer der Angebeteten und ihre stundenlange Beobachtung beim Schlafen als romantische Geste ansehen werden, sondern als grobe Grenzüberschreitung ohne jeglichen Konsens und zudem als fahndungswürdige Straftat. Auch ist die Darstellung von Bellas Schönheitsschlaf etwas unrealistisch. Die einzigen Geräusche, die sie produziert, sind klar artikulierte Sätze, die sie im Schlaf gibt und die sich um ihre Gefühle für Edward drehen. Selbstverständlich entfahren der Schlafenden keine potentiell peinlichen Störlaute und selbst in ihren Träumen gibt es für sie keinen anderen Mann.
Als Edward aus seinem selbstlosen Wunsch heraus, Bella zu beschützen, beschließt, sie zu verlassen, sagt er ihr im Abschiedsgespräch leider nicht die Wahrheit, sondern verletzt sie mit einer Lüge: Sie sei nicht gut genug für ihn. Für die beziehungsunerfahrene Bella ist dies eine fürchterliche Kränkung ihres ohnehin schwach ausgeprägten Selbstwerts und sie fällt monatelang in einen schwer depressiven Zustand. Nach ihrer Wiedervereinigung als Paar begründet Edward diese Lüge damit, er sei sicher gewesen, dass er Bella nur durch das Triggern ihrer Minderwertigkeitskomplexe dazu hätte bringen können, die Trennung zu akzeptieren und Edward gehen zu lassen. Angesichts Edwards Vampirkräfte und seiner Geschwindigkeit, dank derer er wohl in achtzig Stunden statt Tagen die Welt umrunden könnte, erscheint es schwer vorstellbar, wie die tollpatschige Bella ihn auch bei ausbleibender Einsichtigkeit verfolgen und zwingen könnte, die Beziehung fortzusetzen. Die Wahrheit zu sagen und dann zu gehen, weil es Edwards eigener Überzeugung entsprach, wäre natürlich nicht schmerzfrei für unsere Heldin gewesen – hätte ihr aber womöglich doch den seelischen Schmerz erspart, ihre Grundüberzeugung, nicht gut genug zu sein, von ihrem idealisierten Freund gespiegelt zu bekommen.
Ganz im Sinne der Moral des vorangegangenen Jahrhunderts dominiert vor allem Edward den Verlauf der Beziehung. So kommen schon die ersten Begegnungen und Gespräche nur dann zustande, wenn Edward dies zulässt. Häufig glänzt Edward durch Abwesenheit, wenn er Bella mal wieder durch sein Fernbleiben beschützen möchte. Mit einer offenen Kommunikation tut er sich äußerst schwer und zerstört lieber Bellas Auto als sie darum zu bitten, nicht ihren besten Freund, Werwolf Jacob, zu besuchen und damit zu seiner Eifersucht zu stehen. Bei gemeinsamen Verabredungen scheint es eher die Regel als die Ausnahme zu sein, dass Edward seine Freundin mit einem Plan für eine Verabredung überrascht, die nicht immer Bellas Wünschen entspricht, beispielsweise die misslungene Geburtstagsfeier zu ihrem Achtzehntem. Beide Partner scheinen sich damit schwer zu tun, ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, da beide durchweg überzeugt zu sein scheinen, den jeweils anderen nicht zu verdienen und versinken in ihren internalisierten Schuldgefühlen. Während Bella darunter leidet, mit Edwards Vampir-Attributen nicht mithalten zu können, hasst Edward sich dafür, durch sein Vampirdasein Bellas Leben und Menschlichkeit zu gefährden. So wagen beide kaum, einen Wunsch an den anderen zu richten, denn die bloße Nähe des jeweils anderen scheint völlig unverdient zu sein – eine ungesunde Mischung aus Verehrung und Idealisierung des Partners und Selbstabwertung.
Der Moment, in dem Bella über ihren Schatten springt und doch ihrem Wunsch nach sexueller Intimität Ausdruck verleiht, stellt leider keinen Wendepunkt in der Beziehungsdynamik dar. Zwar ergreift Bella die Initiative, gibt aber letztlich Edwards Wunsch nach, zuerst zu heiraten und jungfräulich in die Ehe zu gehen. Die Art und Weise, wie Edward seinen Willen, nämlich eine Hochzeit mit Bella, bekommt, erscheint sehr manipulativ. So zeigt Bella zunächst deutlich eine Anti-Heirat-Haltung, da sie sich dafür zu jung fühle und zudem als Scheidungskind dem Konzept der Ehe kritisch gegenübersteht. Diese Meinung scheint in den nächsten Monaten zu bröckeln, während Edward an Beharrlichkeit nicht nachlässt und schließlich die Trauung als Bedingung dafür benennt, Bella in einen Vampir zu verwandeln. Bis zum Schluss scheint Bella nicht aus eigener Überzeugung heraus in den Bund der Ehe einzutreten, sondern eher aus zwei extrinsischen Gründen: die Hochzeitsnacht und ihre versprochene Mensch-zu-Vampir-Transition. An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die junge Heldin gerade einmal achtzehn Jahre alt ist und durchaus an ihrer geistigen Reife in Bezug auf endgültige Lebensentscheidungen gezweifelt werden darf und sollte. Bella ist dabei, einen Mann zu heiraten, mit dem sie – die halbjährige Unterbrechung herausgerechnet – kaum ein Jahr zusammen ist, der ihr gut neunzig Jahre Lebenszeit und –erfahrung voraus hat, mit dem sie weder einen gemeinsamen Haushalt geführt, noch gemeinsame Urlaubsreisen unternommen hat – bis auf den Abschiedsbesuch bei Bellas Mutter und den eher blutig-ernüchternden Kurztrip nach Italien. Kurz gesagt, es fehlen viele Momente, in denen Paare gewöhnlich miteinander wachsen – in denen natürlich auch das Risiko besteht, sich auseinanderzuentwickeln. Schlussendlich ist Bella davon überzeugt, es sei für sie das Beste, sich mit achtzehn Jahren für die Ehe und die Unsterblichkeit und damit gegen die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen zu entscheiden.
Insgesamt ist die Beziehung der beiden sehr unausgeglichen: Edward ist der starke Held, der ständig zu Bellas Rettung herbeispringt, die sich durch ihre tollpatschige, naive Art sehr oft in Gefahr bringt und dem Klischee der süßen hilflosen, wenn auch etwas depressiv-introvertierten Maus entspricht. Erst durch ihre extreme Verwandlung zum Vampir, durch die sie sich Edward angleicht, sind sie einander als Partner ebenbürtig. Da das Paar nun zu gleicher Geschwindigkeit auflaufen kann, sind die Zeiten, in denen Edward ein Gespräch einfach verlassen konnte und Bella dies hilflos akzeptieren musste, vorbei. Ihre Verwandlung geht allerdings damit einher, dass sich ihr Äußeres verändert – zumindest im Buch – sieht sie hinterher aus wie ein perfektes Modell, statt unbeholfen aufzutreten geht sie in Stilettos auf die Jagd nach bedrohten Tierarten und bewegt sich wie ein elegantes Raubtier. Schluss also mit der Tollpatschigkeit, die sie bisher ausgemacht hat. Dass sie sich, um ihr Geheimnis zu wahren, von ihrer Familie und Freunden isolieren muss, akzeptiert Bella ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn wir uns vorstellen, jemand sähe sein perfektes Liebesglück darin, für seinen Partner eine starke, unwiderrufliche Veränderung des Äußeren, der Ess- und Schlafgewohnheiten, den Verzicht auf vom Partner unabhängige Lebensziele sowie die Aufgabe bisheriger sozialer Kontakte und den Rückzug in das Familienhaus des neuen Partners – würden wir das gut heißen? Finden wir es romantisch, wenn jemand für seinen Partner wirklich ALLES aufgibt, auch die eigene Menschlichkeit? Auf irdische Verhältnisse kommt Bellas Verwandlung zum Vampir eine Art Eintritt in eine Sekte gleich, nämlich die Abgeschiedenheit ihrer Schwiegerfamilie.
Wer jetzt denkt, aufgrund der scharfen Kritik an der Beziehungsdynamik zwischen Bella und Edward müsse ich mich wohl bei „Team Jacob“ verordnen: Dem ist nicht so, auch Edwards Kontrahent Jacob, Bellas bester Buddy und Werwolf kommt im Verlauf der Romane nicht viel besser weg. Im 1. Band der Twilight-Reihe entspricht Jacob noch dem „Good Guy“-Schema und scheint bereits ein Auge auf Bella geworfen haben, wirkt aber neben Edwards blendend gutem Aussehen und düsterem Charme eher unscheinbar und wird von ihr eher in die platonische Schublade gepackt. Die Freundschaft der beiden vertieft sich, als Bella im 2. Teil versucht, mit der Trennung von Edward zurechtzukommen. Gleichzeitig durchläuft Jacob eine Veränderung: Er verwandelt sich das erste Mal in einen Werwolf, schließt sich der Gruppe junger Männer aus seinem Stamm an, die dieses Schicksal teilen und bricht den Kontakt zu Bella ab – um sie zu schützen. Das kommt uns doch bekannt vor… Verrückt, wie viel Vampir und Werwolf gemeinsam haben. Mit diesem Eintritt in den „Bad Boy“-Club der schweigsamen übernatürlichen Männer erfährt gleichzeitig Jacobs Aussehen ein Upgrade, er ist plötzlich muskulös und wird für Bella interessanter. Die zweifach abgewiesene junge Dame bleibt diesmal hartnäckig und kommt hinter Jacobs Geheimnis, sodass dieser wieder weich wird und weiterhin Zeit mit ihr verbringt – und ihr natürlich mehrmals das Leben rettet. Edward ist als Beschützer also nicht unersetzlich. Dass Jacob Gefühle für Bella hat, ist recht früh offensichtlich. Für Bella wird die Sache allerdings kompliziert, nachdem ihre Beziehung mit Edward in die zweite Runde geht. Es folgt ein Eifersuchtsgerangel zwischen Edward und Jacob, der vor allem über finstere Blickduelle ausgetragen wird. Bella wird von beiden – mal mehr und mal weniger freundlich und bestimmt – gebeten, den jeweils anderen nicht mehr zu treffen. Brisant wird es, als Jacob beschließt, Bella zu ihrem Glück (mit ihm) zu zwingen und ihr einen Kuss aufzwingt. Die junge Frau wehrt sich (endlich mal) derart kräftig, dass sie sich die Hand bricht, leider hat sie ja gegen den übermächtig starken, muskulösen Jacob keine Chance. Daraufhin ist Bella wütend, während Jacob vorerst sehr gut gelaunt und überzeugt ist, das Rennen nun für sich entschieden zu haben. Völlig unbesorgt bringt Jacob Bella zu ihrem Vater nach Hause, der nach kurzer Besorgnis um Bellas gebrochene Hand gönnerhaft darüber lacht, der von ihm mittlerweile als Schwiegersohn unerwünschte Edward hätte nun Konkurrenz. Schade, dass Bellas kurz entfachter Widerstandsgeist und ihre Bereitschaft, Grenzen zu setzen und für sich einzustehen, so schnell im Keim erstickt wird. Eine noch schlimmere Grenzüberschreitung erlaubt sich Jacob nur kurze Zeit später. Mitten im „Kriegsgeschehen“ droht er Bella seinen Suizid an, indem er im Kampf mit einer gefährlichen Vampirbande nicht auf sich aufpassen und somit den eigenen Tod billigend in Kauf nehmen werde – es sei denn, Bella küsst ihn „freiwillig“ und „richtig“. Bella geht widerwillig darauf ein, bemerkt aber plötzlich während dieses „richtigen“ Kusses, dass ihr das Ganze eigentlich doch gefällt und sie auch in Jacob verliebt ist – so wie sie es seiner Meinung nach die ganze Zeit war. Jacobs Strategie, auf Bellas Mitgefühl zu setzen und ihr die Verantwortung aufzubürden, im Falle ihrer Weigerung wäre sie an seinem Ableben schuld, geht also auf. Bella „entdeckt“ unter starkem Druck, in großer Sorge um ihren möglicherweise suizidgefährdeten besten Freund Jacob, während eines sexuellen Übergriffs (wie sonst soll man einen erzwungenen Kuss bezeichnen?) ihre romantischen Gefühle für Jacob. Allzu viel hat dieser aber nicht davon, Bella um einen Kuss und ein Liebesgeständnis erpresst zu haben, denn letztendlich „erreicht“ Jacob nicht sein Ziel, Bella zu seiner festen Freundin zu machen. Diese hätte ihren eigenen Angaben zufolge zu keinem Moment daran gezweifelt, Edward sei der Richtige für sie. Bei Jacobs Grenzüberschreitung schien es zudem auch darum zu gehen, bei Edward Eifersucht hervorzurufen und ihn zu verletzen – also nicht gerade edle Motive am Werk. Bei all ihrer Rivalität untereinander haben beide Herren der Schöpfung eine entscheidende Gemeinsamkeit: Beide sehen außerordentlich gut aus. Fragen wir uns also: Was hat das mit der Geschichte um Bella zu tun? Und wie beeinflusst dieser oberflächliche Aspekt unsere Wahrnehmung dieser Geschichte?
Hier mal ein Impuls: Welche Rolle hat das Aussehen einer Person – beziehungsweise hier: eines Mannes, darauf, wie ich sein Verhalten bewerte? Würde ich es auch dann romantisch finden, wenn er nicht jung und schön, sondern unattraktiv und deutlich älter, vielleicht sogar krank oder behindert, wäre?
Wie würden wir Edwards und Jacobs Verhalten denn finden, wären beide durchschnittlich oder gar hässlich? Stellt euch vor, ein unattraktiver Mann würde nachts bei euch einbrechen, um euch beim Schlafen zuzuschauen, euch mit gebrochenem Herzen allein im Wald zurücklassen, euch gegen euren Willen küssen und euch aufgrund der Wahl eures Partners oder besten Freundes die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen machen? Ziemlich sicher wären die Bücher von Stephenie Meyer dann nicht über 70 Millionen Mal (!) verkauft worden
Man kann es natürlich bedauerlich finden, dass Bücher, in denen derart problematische Rollenbilder junger Männer und Frauen sowie ungesunde Verhaltensweisen innerhalb von Beziehungen sich derart gut verkaufen. Im Fall von „Twilight“ sind insbesondere heranwachsende Mädchen die Zielgruppe, die durch derlei Lektüre dazu inspiriert werden, hilflos nach einem schönen dominierenden Retter Ausschau zu halten und bereit zu sein, alles von sich für ihre Beziehung aufzugeben. Anhand der Analyse dieser Lektüre kann aber die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen vom „perfekten Mann“ und der „perfekten Beziehung“ mehr ins Bewusstsein rücken. Klar wirken Vampir Edward und Werwolf Jacob im Vergleich zu realen Serienmördern und Terroristen harmlos – aber hübsche Männer mit Gewaltpotential im frühen Teenageralter verherrlichend darzustellen, könnte der Beginn einer bedenklichen Faszination für Männer mit gefährlichen Eigenschaften und der Akzeptanz von toxischen Verhaltensmustern in Beziehungen sein.
Lasst uns damit aufhören, schönen Männern einen Freifahrtsschein für unangebrachtes und verletzendes Verhalten auszustellen und einen Weg zu mehr Fairness im Umgang finden. Wenn ein weniger gutaussehender Mann dich anspricht und dabei respektvoll auftritt, ist dies nicht „ekelhaft“, sondern ein freundlicher Versuch dich kennenzulernen. Natürlich liegt die Wahl bei dir, ob du mit ihm einen Kaffee trinken gehst, aber seine Ansprache an sich ist allein durch sein Aussehen nicht verwerflich. Eklig ist es, wenn ein schöner Mann dich respektlos anquatscht, dich belästigt und deine Grenzen übertritt. Sein Verhalten sagt mehr aus als sein hübsches Gesicht und eine grenzüberschreitende Belästigung ist nichts Schmeichelhaftes. Kurz gesagt: Mehr Toleranz für „Good Guys“ und mehr kritisches Hinschauen bei „Bad Boys“.
Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, den „Good Guys“ ein literarisches Denkmal zu setzen. Ich möchte endlich gesunde, wohltuende Beziehungen auf Augenhöhe sehen, in denen beide beteiligte Personen, egal welcher Geschlechtsidentität, ihr Bestes geben, gleichermaßen auf sich selbst und auf das Wohlergehen ihrer Partner:innen achten, hilfsbereit und zugewandt agieren und offen, ehrlich und mutig kommunizieren, sich füreinander öffnen und die Vielfalt des Lebens gemeinsam kennenlernen. Überirdische Schönheit, Reichtum und Unsterblichkeit sind keine realistischen Ideale für die meisten unter uns und sind hoffentlich nicht die Basis für unsere Beziehung. Edward und Jacob sollen (wahrscheinlich) „Good Guys“ darstellen, da beide Bella ständig in Nöten retten, nur sabotieren beide letztendlich ihre Entwicklung zu einer selbstbestimmten (Menschen-)Frau mit eigenen Interessen und Zielen.
Was mir persönlich mittlerweile fast am verrücktesten an der Geschichte erscheint: Die Temperaturunterschiede der beiden Jungs. Edwards Hauttemperatur wird als arktisch-kalt beschrieben, bei Jacob könne man sich dagegen einen Brandausschlag holen. Wie soll das bitte funktionieren?! Bellas eigentliche Leidensfähigkeit scheint darin zu bestehen, dass sie ernsthaft in der Lage ist, jede Nacht mit eiskalten Füßen einzuschlafen und beim Kuscheln erlittene Unterkühlungen und Hitzschläge locker wegzustecken.
Für immer unsterblich verliebt zu sein ist nicht so romantisch, wie es sich anhört.
Quellen:
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt-80642
https://www.youtube.com/watch?v=7e9uK6c49iQ
https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/hybristophilia-hybristophilia_id_7971926.html
https://www.refinery29.com/en-us/what-is-hybristophilia
https://www.psychologytoday.com/intl/blog/in-excess/201310/passion-victim
https://artsbeat.blogs.nytimes.com/2009/11/19/twilight-by-the-numbers/