Überlegungen zum „Menstruationsurlaub“

REBECCA SIEBERT. „Menstruationsurlaub? Wow, richtig fortschrittlich!” Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf huschte, als mir eine Freundin erzählte, Spanien habe zu Selbigem nun einen Gesetzesentwurf eingebracht. Der zweite war “Moment mal, Urlaub???”. Ich spreche vermutlich für viele Frauen*, wenn ich sage, dass Urlaub das letzte Wort ist, an das ich denke, wenn ich mit Bauchkrämpfen und Rückenschmerzen im Bett liege und mich ärgere, dass ich meine heutigen To-Dos wohl nicht werde erledigen können.

Grundsätzlich geht es beim sogenannten Menstruationsurlaub darum, dass Frauen, die unter starken periodenbedingten Schmerzen leiden, an den entsprechenden Tagen nicht zur Arbeit kommen müssen, sich also freistellen lassen oder aus dem Homeoffice arbeiten können[4]. So weit so sinnvoll. Menstruationsbeschwerden wie beispielsweise Bauchkrämpfe, Übelkeit, Müdigkeit, Durchfall, Rückenschmerzen oder Erbrechen kennen ca. 90% der Frauen[2]. So stark, dass sie ihren Alltag nur mit Beeinträchtigung bestreiten können, sind die Schmerzen bei bis zu 15% der menstruierenden Frauen[7]. Gerade für letztere wäre die Möglichkeit, an Tagen mit solchen Schmerzen nicht arbeiten zu müssen, sicherlich eine Entlastung. Und auch diejenigen mit weniger extremen, aber immer noch starken Schmerzen würden davon profitieren, wenigstens von Zuhause aus zu arbeiten, wo sie sich zwischendurch mit Wärmflasche ins Bett legen oder (ohne die neugierigen Blicke der versammelten Kolleg:innen) krampflösende Gymnastikübungen machen könnten.

In Spanien ist die Krankenstandsregelung eine andere als in Deutschland. Man bekommt dort erst nach vier Tagen Krankschreibung sein volles Gehalt.

Bräuchten wir den Menstruationsurlaub also auch in Deutschland? Kurz: Jein. In Spanien ist die Krankenstandsregelung eine andere als in Deutschland. Man bekommt dort erst nach vier Tagen Krankschreibung sein volles Gehalt weitergezahlt. Bisher wurden Frauen, die ihrer Periodenschmerzen wegen ein bis zwei Tage Zuhause blieben, in dieser Zeit nicht bezahlt[3, 8]. In Deutschland bekommt man ab dem ersten krankheitsbedingten Fehltag sein volles Gehalt weitergezahlt; in den ersten zwei Tagen muss man nicht einmal ein ärztliches Attest einreichen[8]. “Aber die Periode ist doch keine Krankheit” höre ich jetzt schon viele Kritiker:innen sagen und nein, die Periode selbst ist natürlich keine Krankheit. Die Schmerzen, die bei vielen Frauen mit ihr einhergehen allerdings schon. So findet sich auch im ICD-10 (International Classification of Diseases), dem Klassifikationssystem für Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die folgende Diagnose: N94.- Schmerz und andere Zustände im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus[6]. Unter dieser Kategorie befinden sich unter anderem sechs Diagnosen, die mit der Menstruation und insbesondere der Dysmenorrhoe, also starken Regelschmerzen, assoziiert sind (siehe Infobox unten) [5]. Man könnte sich also einfach für die Tage der Regel, während denen die Schmerzen so stark sind, dass man sich nicht mehr arbeitsfähig fühlt, bei Vorgesetztenkrankmelden. Dafür müsste man sogar erst am dritten Tag ein ärztliches Attest einreichen, welches man bei Frauenärzt:innen erhält [8].

ICD-10 Diagnosen im Zusammenhang mit der Menstruation[6]
N94.3 Prämenstruelle Beschwerden
N94.4 Primäre Dysmenorrhoe
N94.5 Sekundäre Dysmenorrhoe
N94.6 Dysmenorrhoe, nicht näher bezeichnet
N94.8 Sonstige näher bezeichnete Zustände im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus
N94.9 Nicht näher bezeichneter Zustand im Zusammenhang mit den weiblichen Genitalorganen und dem Menstruationszyklus

Leider nutzen nur wenige Frauen diese Möglichkeit tatsächlich.

Nur ist es leider doch nicht so einfach wie es klingt. Denn ein Blick auf die Statistiken der AOK sowie der bekanntesten Umfrage zu diesem Thema aus Japan, wo es den Menstruationsurlaub schon seit 1947 gibt, zeigt: Leider nutzen nur wenige Frauen diese Möglichkeit tatsächlich[2, 4]. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen befürchten auf der Arbeit in Zukunft benachteiligt zu werden, wenn sie (fast) jeden Monat eine ähnliche Anzahl Krankentage aufweisen[2]. Denn auch ohne dass für krankheitsbedingtes Fehlen ein Grund eingereicht werden muss, würden Vorgesetzte wohl schnell ihre Schlüsse ziehen, wenn ihre Arbeitnehmerinnen jeden Monat im Schnitt einige Tage mehr fehlen würden als ihre Arbeitnehmer und die Fehlzeiten ca. 28 Tage auseinanderliegen würden.

Leider ist diese Befürchtung nicht völlig unbegründet, denn tatsächlich können Arbeitgeber:innen ihren Mitarbeiter:innen krankheitsbedingt kündigen, wenn diese “unzumutbare Fehlzeiten” aufweisen und die Prognose negativ ist[9]. Zusätzlich muss eine Interessenabwägung zugunsten der Arbeitgeber:in ausfallen (meist, wenn Arbeitnehmer:innen noch nicht so lange für eine:n Arbeitgeber:in gearbeitet haben)[9]. Als unzumutbare Fehlzeiten zählen 30 Fehltage im Jahr[9, 10]. Das klingt zunächst nach viel, aber wenn wir davon ausgehen, dass eine Frau jeden Monat drei Tage lang unter so starken Regelschmerzen leidet, dass sie sich krankmeldet, dann wären das im Jahr 36 Fehltage, die allein durch ihre Regelschmerzen verursacht würden. Ohne also auch nur einen Tag aus anderen Gründen krank zu sein, wären das schon unzumutbare Fehlzeiten. Und da sich daran bis zur Menopause, wenn überhaupt, nur wenig ändern würde, könnte die Prognose wohl schnell als negativ eingeschätzt werden[5]. Doch selbst wenn es nicht so häufig zu diesem “Worst-Case-Scenario” käme, ist da immer noch die Stigmatisierung des Themas Menstruation. Diese führt dazu, dass viele Frauen sich unwohl fühlen über ihre Periode zu sprechen, aus der Befürchtung heraus, dass ihre Beschwerden als “Wehwehchen” oder “Frauenthema” abgetan werden könnten.

Es stellt sich also weiterhin die Frage, ob ein explizit geregelter Menstruationsurlaub, der dann auch tatsächlich die Urlaubstage betreffen würde, in Deutschland sinnvoll und wenn ja überhaupt möglich wäre. Hier gehen die Meinungen auseinander. Wenn es nach dem Prinzip der Gleichberechtigung geht, dann ist es schwierig zusätzliche Urlaubstage für Frauen mit Menstruationsschmerzen zu rechtfertigen. Denn dann würden Männer nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert[8]. Denkt man eher im Sinne von ausgleichender Gerechtigkeit, dann wären die zusätzlichen Urlaubstage im Sinne eines biologisch bedingten Nachteilsausgleich durchaus zu rechtfertigen, ähnlich wie beim Mutterschutz[3, 10]. Doch durch die zusätzlichen Urlaubstage würden für Arbeitgeber:innen, die Frauen beschäftigen, höhere Kosten anfallen. Dementsprechend könnte es dadurch bereits bei der Einstellung zur Diskriminierung kommen, da Männer als die preiswerteren Arbeitnehmer angesehen werden könnten[8]. Kein Problem, argumentiert zum Beispiel die ZEIT Redakteurin Catherin Gilbert und führt dabei den zunehmenden Fachkräftemangel sowie die demografische Verteilung an[3].

Wäre es nicht möglich für Frauen mit Dysmenorrhoe festzulegen, dass nicht schon 30 Fehltage, sondern stattdessen erst eine höhere, an ihre Beschwerden angepasste Anzahl an Fehltagen als „unzumutbar“ für Arbeitgeber:innen eingeordnet werden?

Für mich spricht viel für eine Kombinationslösung. Warum muss die Freistellung aufgrund von Regelschmerzen in den Regelungen zu den Urlaubstagen verankert sein und kann nicht wie bisher zum Krankenstand gehören? Wäre es nicht möglich für Frauen mit Dysmenorrhoe festzulegen, dass nicht schon 30 Fehltage, sondern stattdessen erst eine höhere, an ihre Beschwerden angepasste Anzahl an Fehltagen als “unzumutbar” für Arbeitgeber:innen eingeordnet werden? Man müsste dann zwar als Betroffene die Vorgesetzten von den Regelschmerzen in Kenntnis setzen, was erst einmal noch unangenehm sein könnte. Aber es würde Arbeitgeber:innen auch für das Thema sensibilisieren und das Stigma immer mehr abbauen, wenn es normal würde, über die Menstruation und die zugehörigen Beschwerden zu sprechen[12]. Auch könnte man bei besonders schwerwiegenden Fällen überlegen, einen Grad der Behinderung (GdB) auszustellen. Bei einem GdB von mindestens 50% (bzw. teilweise schon bei 30-40% GdB) würde dies zumindest einen besonderen Kündigungsschutz nach sich ziehen [11]. Im Moment ist das zumindest in der Theorie bei einer Endometriose möglich, einer Erkrankung, bei der sich Schleimhautgewebe aus der Gebärmutter auch in Körperbereichen außerhalb der Gebärmutter ansiedelt. Dadurch kommt es bei Betroffenen ebenfalls häufig zu starken Menstruationsschmerzen. Bei dieser Diagnose kann ein GdB von 10-60% vergeben werden[10]. In der Praxis sieht es jedoch häufig anders aus. Betroffene werden bei den zuständigen Versorgungsämtern in der Schwere ihrer Beschwerden nicht ernst genommen; hinzukommt, dass der “objektive” Schweregrad der Erkrankung nicht immer gut nachgewiesen werden kann [10]. Ob der GdB für Betroffene von starken Regelschmerzen also eine ausreichende Lösung wäre, ist nicht gesagt. Eine Sonderregelung wie es sie beim Mutterschutz gibt, kommt mir deutlich niedrigschwelliger vor und wäre nicht noch mit zusätzlichem Stigma verbunden. Das Ziel sollte doch eigentlich sein, die Periode und damit verbundene Schmerzen zu normalisieren.

Bis jetzt ist die implizit vermittelte Nachricht an Arbeitgeber:innen, dass wenn eine Frau wegen Menstruationsschmerzen häufig fehlt, sie sich leicht durch eine andere ersetzen lässt, die sich an den entsprechenden Tagen mit 800mg Ibuprofen volldröhnt und trotzdem zur Arbeit kommt.

Auf Dauer sehe ich es sowieso als den nachhaltigsten Weg zum Abbau des Stigmas an, wenn wir als Frauen kollektiv dazu stehen, dass wir menstruieren und solidarisch mit denjenigen sind, für die das mit starken Schmerzen verbunden ist. Wir können weder etwas dafür, dass wir einmal im Monat bluten, noch können wir die Schmerzen, die wir dadurch erleben, beeinflussen. Bei ähnlichen Symptomen, wie durch Magen-Darm-Beschwerden, kommen wir ja auch nicht auf die Idee, trotzdem zur Arbeit zu gehen und so zu tun, als ob nichts wäre. Meiner Meinung nach ist ein Grund, warum es so leicht für Arbeitnehmer:innen ist, Menstruationsschmerzen nicht ernst zu nehmen und denjenigen von uns, die sich dazu äußern, mit Konsequenzen zu drohen, dass wir unsere Schmerzen selbst nicht ernst genug nehmen. Wir schämen uns dafür und versuchen es so gut wie möglich zu verstecken, wenn wir unsere Tage haben. Diese Tabuisierung führt lediglich zu Unwissen in der Bevölkerung und stärkt damit das Stigma. Wenn genug Frauen sich für eine Sonderregelung bei Menstruationsbeschwerden einsetzen würden und diese bei Arbeitnehmer:innen bzw. beim Staat einfordern würden, dann hätte die Kündigungsandrohung deutlich weniger Wirkung. Bis jetzt ist die implizit vermittelte Nachricht an Arbeitgeber:innen, dass wenn eine Frau wegen Menstruationsschmerzen häufig fehlt, sie sich leicht durch eine andere ersetzen lässt, die sich an den entsprechenden Tagen mit 800mg Ibuprofen volldröhnt und trotzdem zur Arbeit kommt. Wenn allerdings deutlich weniger Frauen bereit wären, diese Art von Präsentismus an den Tag zu legen, würde sich der Druck erhöhen, eine bessere Lösung zu finden. Auch das ist leichter gesagt als getan und irgendwer muss immer anfangen. Deshalb zum Schluss noch ein aufmunterndes und hoffentlich motivierendes Umfrageergebnis aus den Niederlanden: Frauen unter 21 Jahren sind bei Schmerzen und anderen Menstruationsbeschwerden sehr viel eher bereit, sich krank zu melden als ältere Frauen[1]. Das Thema wird in den kommenden Jahren also hoffentlich zunehmend im öffentlichen Diskurs vertreten sein.

*Anmerkung: Im Text sind mit dem Begriff „Frau“ biologische Frauen gemeint, er schließt also auch Transmänner mit ein, die weiterhin menstruieren.

Quellen:
[1] Der Standard. (2019, July 11). Studie: Regelschmerzen Machen Unproduktiv. DER STANDARD. Retrieved July 23, 2022, from https://www.derstandard.de/story/2000105550762/produktivitaetsverlust-durchmenstruationsbeschwerden
[2] Diehn, S. A. (2022, May 18). Spanien: Kabinett beschließt Menstruationsurlaub – Fluch oder Segen? DW.COM. Retrieved July 19, 2022, from https://www.dw.com/de/spanien-kabinett-beschlie%C3%9Ft-menstruationsurlaub-fluch-oder-segen/a-61807039
[3] Gilbert, C., & Nienhaus, L. (2022, May 25). Urlaub bei Regelschmerzen – Ist der „Menstruationsurlaub“ eine gute Idee? Zeit Online Arbeit. Retrieved July 19, 2022, from https://www.zeit.de/2022/22/menstruationsurlaub-spanien-frauen-gleichberechtigung
[4] Höbel, S. (2021, June 10). Menstruationsurlaub – Auf Ibu 800 durch den Arbeitstag. Zeit Online Arbeit. Retrieved July 19, 2022, from https://www.zeit.de/arbeit/2021-06/menstruationsurlaub-regelschmerzen-arbeit-periode-alltag
[5] IQWiG. (2019, July 17). Regelschmerzen. gesundheitsinformation.de. Retrieved July 19, 2022, from
https://www.gesundheitsinformation.de/regelschmerzen.html
[6] Krollner, B., & Krollner, D. M. (2020). Schmerz und Andere Zustände im Zusammenhang mit den Weiblichen
Genitalorganen und dem Menstruationszyklus. ICD. Retrieved July 19, 2022, from https://www.icd-code.de/icd/code/N94.-.html
[7] Pinkerton, J. A. V. (2021, February). Menstruationskrämpfe – Gesundheitsprobleme von Frauen. MSD Manual Ausgabe für Patienten. Retrieved July 19, 2022, from https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/menstruationsst%C3%B6rungen-und-abnormale-scheidenblutungen/menstruationskr%C3%A4mpfe
[8] Pohl, E. (2022, May 18). Neue Regel für die Regel: Brauchen wir in Deutschland Menstruationsurlaub? watson.de. Retrieved July 19, 2022, from https://www.watson.de/leben/analyse/417000890-menstruationsurlaub-in-spanien-koennte-auch-deutschland-nachziehen
[9] Redaktion IG Metall, & Bender, T. (2022, March 2). Kündigung Aufgrund und Während Krankheit. IG Metall –
Service. Retrieved July 23, 2022, from https://www.igmetall.de/service/ratgeber/kuendigung-aufgrund-und-waehrend-krankheit
[10] Samland, J. (2020, August 11). Endometriose und Schwerbehinderung. Anwalt.de. Retrieved July 24, 2022,
from https://www.anwalt.de/rechtstipps/endometriose-und-schwerbehinderung_170701.html
[11] Sozialverband VdK Deutschland e.V. (2018, December 14). Kündigungsschutz für Behinderte Menschen:
Fragen & Antworten. Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung. Retrieved July 24, 2022,
from https://www.vdk.de/deutschland/pages/t h e m e n / b e h i n d e r u n g / 6 8 3 8 8 /kuendigungsschutz_fuer_menschen_mit_behinderung?dscc=ok
[12] Weck, A. (2022, May 26). Menstruationsurlaub auch in Deutschland möglich? Eine Juristin klärt auf . t3n Digital Pioneers: Das Magazin für Digitales Business. Retrieved July 23, 2022, from https://t3n.de/news/
menstruationsurlaub-periode-regelschmerzen-deutschland-gesetz-1474998/