Was Liebe mit unserer Psyche macht

SASKIA RIEDELBAUCH. Fast jede:r kennt diesen Zustand: die Gedanken kreisen nur noch um die angebetete Person, man läuft fröhlich grinsend durch die Gegend, ist gut gelaunt, alles erscheint schöner, besser, fröhlicher. Man denkt an eine gemeinsame Zukunft, geht im Kopf die verschiedensten Szenarios durch, wie das gemeinsame Leben aussehen könnte – dabei kennt man den anderen / die andere noch gar nicht lange. Dem nächsten Treffen wird mit pochendem Herzen entgegengeblickt und wenn man sich dann sieht, bekommt man weiche Knie und kriegt kaum noch einen vollständigen Satz heraus.  Verliebt sein ist etwas Aufregendes und Schönes. Dabei wissen wir, dass der Zustand der Verliebtheit nicht ewig andauert und sich mit der Zeit in Liebe und eine enge Bindung verwandelt. Vermutlich ist allen klar, dass der Mensch sich anders verhält, anders denkt und anders fühlt, wenn er verliebt ist und wenn er liebt. Doch wie genau sieht das aus? Was macht Liebe mit unserer Psyche? Dem möchte ich mit diesem Artikel ein wenig auf den Grund gehen. 

Dass die Liebe einen Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung hat, ist wunderschön zusammengefasst in dem Sprichwort „durch die rosarote Brille sehen“. Dieses bedeutet in unserer Umgangssprache, dass man etwas in einem zu positiven Licht sieht und ein unrealistisches Weltbild hat [1]. „Er ist einfach der Beste“, „Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe“, „Ich kenne niemanden, der so hilfsbereit und selbstlos ist wie er“ – dem ein oder anderen kommt das sicher bekannt vor: Verliebte neigen dazu, ihre:n Partner:in zu idealisieren. Dies mag zwar einem unrealistischen Bild von der geliebten Person entsprechen – doch ist das schlimm? Forschende fanden heraus [2], dass die Idealisierung des Partners / der Partnerin selbsterfüllende Effekte hat: Menschen, die ihre:n Partner:in stark idealisierten, hatten eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich zu trennen. Zum Teil scheinen die positiven Illusionen über den/die Partner:in mit dem Grad der Selbstachtung der Individuen zusammen zu hängen. Eine höhere Selbstachtung sagte mehr Idealisierung des/der Partner:in vorher. Persönliche Unsicherheiten von Individuen dagegen schienen dabei eine eher unterschwellige Vulnerabilität für die Beziehung darzustellen. Des Weiteren berichteten Paare, die sich anfangs gegenseitig mehr idealisierten, mehr Zufriedenheit und weniger Konflikte sowie Zweifel über einen Zeitraum von einem Jahr, als Paare die sich weniger idealisierten. Im Rahmen der Studie zeigte sich sogar, dass die Individuen die idealisierten Bilder des Partners später teilten – also positive Veränderungen im Selbstkonzept erfuhren. Die Idealisierung des Partners bzw. der Partnerin scheint also ein Prädiktor für eine stabilere Beziehung zu sein. 

Wie wirkt sich Liebe auf das Denken aus?
Dieser Frage ging noch eine andere Forschungsgruppe nach [3], die kognitive Verarbeitungsmodi bei subtilen oder unbewussten Erinnerungen an Liebe vs. Sex untersuchten. Dabei fanden sie Belege dafür, dass verliebte Menschen sich eher auf eine langfristige Perspektive fokussieren, was holistisches (ganzheitliches) und somit auch kreatives Denken erhöht. Menschen hingegen, die sexuelle Begegnungen in zwanglosem Kontext in Abwesenheit von Liebe haben, konzentrieren sich den Studienergebnissen nach mehr auf die Gegenwart. Dies führt dazu, dass konkrete Details fokussiert werden, was wiederum analytisches Denken erhöht. Liebe kann aber nicht nur kreatives Denken fördern, sondern auch kognitive Leistungsfähigkeit erhöhen. Dies fanden Forschende im Jahre 2006 [4] heraus, als sie heterosexuelle Frauen in romantischen Beziehungen mithilfe einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe untersuchten. Hier wurden zwei Gruppen anhand der Ergebnisse der „Passionate Love Scale“ (ein Fragebogen zur Erfassung leidenschaftlicher Liebe) gebildet, sodass die Experimentalgruppe Frauen enthielt, die ihren Partner leidenschaftlich liebten. Die Kontrollgruppe bildeten Frauen, die ihren Partner nicht leidenschaftlich liebten und ihre Liebe eher als kameradschaftlich bezeichneten. Bei der durchzuführenden Aufgabe mussten die Probandinnen so schnell und genau wie möglich angeben, ob eine Buchstabenkette ein Wort ergibt. Dabei wurden vorher unterschwellige Hinweisreize dargeboten, welche entweder den Namen des Geliebten, den Namen eines Freundes oder einen wortähnlicher Kontrollhinweisreiz zeigten. Hierbei zeigte sich, dass Frauen, die ihren Partner leidenschaftlich liebten, schneller darin waren, Wörter zu erkennen, wenn vor Präsentation der Buchstabenkette der Name ihres Partners unterschwellig präsentiert wurde. 

Eine andere Studie [5] zeigte, dass Verliebte in einer Mentalisierungsaufgabe besser waren, wenn ihnen vorher ein Foto ihres/ihrer geliebten Partners/Partnerin gezeigt wurde. Mentalisierung meint die Fähigkeit zur Interpretation des Verhaltens anderer durch die Zuschreibung mentaler Zustände. Im Rahmen dieser Studie wurde die Zuschreibung emotionaler Zustände untersucht, indem die Probanden anhand von Fotos von Augenpaaren eine dargestellte Emotion korrekt identifizieren sollten. Verliebte waren also besser darin, emotionale Zustände anderer korrekt zu erkennen, nachdem sie an ihre:n Geliebte:n erinnert wurden im Vergleich zu vorher gezeigten neutralen Reizen. Dabei waren die Effekte für Männer größer als für Frauen – besonders wenn es um die Identifikation negativer Emotionen ging. Der normalerweise bestehende Geschlechterunterschied in Mentalisierungsfähigkeit zugunsten von Frauen war in der Studie reduziert. 

Was hat Liebe mit Sucht gemeinsam?
Es wird angenommen, dass Liebe subkortikale Belohnungs- und Motivationssysteme nutzt [6], welche auch bei Sucht eine bedeutende Rolle spielen. Doch wenn wir einmal annehmen würden, dass Liebe einer Sucht gleicht, muss auch herausgestellt werden, dass es sich in diesem Fall um eine vorteilhafte Sucht handelt. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass Liebe, Vergnügen und Lust ein stressreduzierendes und gesundheitsförderndes Potential haben aufgrund ihrer Fähigkeit, nützliche Motivation und Verhalten zu fördern [7]. Außerdem kann das Verliebtsein zu einer Erweiterung des Selbstkonzeptes, erhöhter Selbstwirksamkeit und erhöhtem Selbstwert führen [8]. 

 „Liebe macht blind“ – ein Spruch, den man des Öfteren hören kann.
Doch was ist damit gemeint und ist da etwas dran? Verliebte sind stark fokussiert auf ihre:n Geliebte:n, was schnell dazu führen kann, dass andere Dinge, Aufgaben und Personen vernachlässigt werden. Wie wirkt sich dieser stark eingeengte Fokus auf die Wahrnehmung von Liebe aus?  In einer Studie sahen Verliebte sowie Erfahrene in Sachen romantischer Liebe kurze Videos von Paaren und sollten daraufhin die Verbundenheit des Paares beurteilen [9]. Zwar waren sie sich sicherer bezüglich ihres „Liebes-Urteils“, jedoch waren ihre Urteile weniger akkurat, als die von Personen die nicht verliebt waren oder weniger Erfahrungen in Sache Liebe angaben. Dies lässt annehmen, dass das Liebes-Konzept der Verliebten und „Liebes-Experten“ höchst subjektiv und nicht repräsentativ ist für die Art und Weise, in der sich Liebe in der breiten Bevölkerung manifestiert. Doch macht Liebe wirklich so blind, dass man nur noch seine:n Partner:in sehen kann? Eine Untersuchung legt nahe, dass romantische Liebe Aufmerksamkeit von potentiellen neuen Partner:innen weglenkt, eher als dass sie Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Partner:in lenkt [10]. Liebe macht also nicht unbedingt blind, sondern lässt uns die Welt in einem anderen Licht sehen.

Liebe kann also unter anderem Vorteile für den Selbstwert und das Selbstkonzept haben, kognitive Prozesse verbessern, das Belohnungssystem unseres Gehirns aktivieren, Stress reduzieren und die Gesundheit fördern. Allerdings kann Liebe auch dazu führen, dass wir weniger akkurat wahrnehmen und unsere:n Partner:in idealisieren. Doch was ist, wenn die Liebe auf einmal fort ist und man verlassen wurde? Eine Trennung kann zu Trauersymptomen wie sich aufdrängenden Gedanken, Schlafstörungen sowie zu verschiedenen Krankheitsfaktoren führen [11]. Ein mögliches Krankheitsbild ist das sogenannte „Broken Heart Symdrome“, was beispielsweise zu Herzinfarkt-ähnlichen Symptomen führen kann. Des Weiteren ist eine beeinträchtigte Immunfunktion eine mögliche Folge eines gebrochenen Herzens. Also kann Liebe definitiv auch negative Konsequenzen haben – mal ganz abgesehen von Fällen wie unerwiderter Liebe oder Gewalt in Beziehungen, wessen Thematisierung an dieser Stelle leider den Rahmen meines Artikels sprengen würde. Anhand der vorgestellten wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist erkennbar, dass Liebe das menschliche Erleben, Verhalten und Denken beeinflusst. Dies tut sie häufig auf eine positive Art und Weise, jedoch kann sie sich auch negativ auf Liebende auswirken. Die Forschungslage zu dem Thema „Liebe“ ist aktuell eher dürftig, obgleich es doch so bedeutsam für uns Menschen ist. Denn Liebe ist nicht nur ein wichtiger Faktor in Bezug auf unsere Fortpflanzung, sondern sie spielt auch eine bedeutende Rolle für das Zusammenleben in Gesellschaften. Liebe beeinflusst dabei nicht nur den zwischenmenschlichen Umgang, sondern auch unseren Umgang mit anderen Lebewesen und unserem Planeten und vor allem mit uns selbst. Aufgrund der hohen Bedeutsamkeit von Liebe, sei sie romantischer, freundschaftlicher oder familiärer Art, wäre es also erstrebenswert, die Forschungslage dazu auszuweiten. Die Untersuchung von Liebe kann sicherlich eine aufregende Reise für Forschende verschiedenster Disziplinen darstellen. Warum also nicht die Liebe zur Forschung nutzen, um mehr darüber herauszufinden, wie wir lieben und was die Liebe mit uns macht? 

Quellenverzeichnis
[1] https://de.wiktionary.org/wiki/etwas_durch_die_rosarote_Brille_sehen
[2] Murray, S. L., Holmes, J. G., & Griffin, D. W. (1996). The self-fulfilling nature of positive illusions in romantic relationships: Love is not blind, but prescient. Journal of personality and social psychology71(6), 1155.
[3] Förster, J., Epstude, K., & Özelsel, A. (2009). Why love has wings and sex has not: How reminders of love and sex influence creative and analytic thinking. Personality and Social Psychology Bulletin35(11), 1479-1491.
[4] Bianchi-Demicheli, F., Grafton, S. T., & Ortigue, S. (2006). The power of love on the human brain. Social Neuroscience,1(2), 90-103.
[5] Wlodarski, R., & Dunbar, R. I. (2014). The effects of romantic love on mentalizing abilities. Review of general psychology18(4), 313-321.
[6] Aron, A., Fisher, H., Mashek, D. J., Strong, G., Li, H., & Brown, L. L. (2005). Reward, motivation, and emotion systems associated with early-stage intense romantic love. Journal of neurophysiology94(1), 327-337.
[7] Esch, T., & Stefano, G. B. (2005). The neurobiology of love. Neuroendocrinology Letters26(3), 175-192.
[8] Aron, A., Paris, M., & Aron, E. N. (1995). Falling in love: Prospective studies of self-concept change. Journal of Personality and Social Psychology69(6), 1102.
[9] Aloni, M., & Bernieri, F. J. (2004). Is love blind? The effects of experience and infatuation on the perception of love. Journal of Nonverbal Behavior28(4), 287-296.
[10] Lundström, J. N., & Jones-Gotman, M. (2009). Romantic love modulates women’s identification of men’s body odors. Hormones and behavior55(2), 280-284.
[11] Field, T. (2011). Romantic breakups, heartbreak and bereavement. Psychology2(4), 382-387.